#kunstlied

Von Minnesang bis Zwölfton – die niusic-Themenreihe zur Liedkunst

Von Christopher Warmuth, 02.05.2017

Was singt man morgen?

Elliott Carter, Georg Friedrich Haas, Helmut Lachemann, Isabel Mundry, Moritz Eggert und Matthias Pintscher – sie alle haben nach dem Jahr 2000 fabelhafte Werke für Stimme und Begleitung geschrieben. Hier soll es aber nur um drei gehen: die Götter des Liedes im 21. Jahrhundert.

Eines vorab: Das Lied ist nicht tot, es lebt! Eine Bestandsaufnahme der Gattung „Lied“ im einundzwanzigsten Jahrhundert muss sich fragen: 1. Was wurde seit dem Jahr 2000 an Liedern komponiert? 2. Welche Komponisten widmen sich der Gattung? 3. Wie sehen die Stile aus? Die Antworten für faule Leser. 1. Viel, 2. Viele, 3. Diverse. Grenzen wir es daher ein und konzentrieren uns nur auf Kompositionen für Stimme solo oder jeweils ein Instrument, schrumpft die Stückanzahl um fünfzig Prozent. Es gibt unzählige Werke für Stimme und Ensemble, für Stimme und Elektronik, für Stimme und Orchester, Stimme und Stimme, für Stimme und was es sonst noch gibt.

Maximal eingedampft bleiben sogar lediglich drei Namen übrig: Jan Müller-Wieland, Wolfgang Rihm und Aribert Reimann. Denn das Schaffen dieser drei Komponisten ist wesentlich durch Werke für Stimme geprägt.



Jan Müller-Wieland, geboren 1966

Jan Müller-Wieland ist der jüngste Stimmschaffende. Er wurde 1966 in Hamburg geboren, sein Katalog umfasst mehr als einhundert Stücke, darunter fünfzehn Musiktheaterwerke und sinfonische Orchesterwerke. Eine vergleichsweise geringe Dichte schenkt er der reinen Vokalmusik, knapp fünfzehn Stücke für Stimme und Klavier sind zu finden. Er gehört zu einer Generation von Komponisten, die zwischen den Stühlen steht, nicht mehr zur Riege von Stockhausen, Boulez oder Zimmermann gehörend, jedoch noch immer geprägt von Nachkriegszeit und den Traumata durch Weltkrieg und Holocaust. Seine Textgrundlage bildet meist alte Lyrik - Hölderlin, Eichendorff, Kafka und Schiller. In Tänzerin, einem Portrait für Sopran und Klavier aus dem Jahr 2000, spielt das Klavier eine betörendes Drei-Ton-Motiv, klirrend hoch, um das die Stimme sich windet. Gegen Ende erreicht die Sängerin schwindelerregende Höhen, in denen sich das Klavier und die Sopranistin um die Wette reiben wollen.



Wolfgang Rihm, geboren 1952

Er ist zweifelsfrei der bekannteste Komponist unserer Tage! Und sein stetig wachsender Werkkatalog lässt einen regelmäßig zweifeln, ob sich hinter dem Namen nicht mehrere Personen verstecken, die am Fließband hochkomplexe Stücke schreiben. Allein im Jahr 2001 vertonte Rihm achtzehn Gedichte von Nietzsche bis Brentano. Die musikalische Sprache von Wolfgang Rihms Liedern ist geprägt durch eine dicht gewebte Klavierbegleitung, bei der man häufig vergisst, dass sie nur die Begleitung ist. Rihm faszinieren das Ungereimte und die Brüche, die Verse, die nur an der Oberfläche aufgehen, darunter aber krasse Unstimmigkeiten verraten: daran entzündet sich seine Fantasie. Dieses Sich-Fallen-Lassen tritt in heftigen Konflikt zur intellektuellen Forderungen, die die Lieder von Rihm heraufbeschwören.



Aribert Reimann, geboren 1936

Er hat seinen Weg fernab der Rollkragenpullover-Festivals wie Donaueschingen, Witten & Co., gemacht. Und was für einen Weg! Der hyperbegabte Zögling einer Berliner Musikerfamilie, hatte schon mit zehn Jahren sein erstes Lied komponiert, „Herbstklage“. Und dieser Zehnjährige sollte intuitiv wissen, was später sein Ding werden wird: Die Stimme. Reimann wird von allen geliebt, er ist unter den derzeit lebenden Opernkomponisten derjenige, der am häufigsten aufgeführt wird. Auch das konservativste Haus traut sich an seine Werke heran, zu einnehmend, zu emotional, zu zupackend sind die Geschichten und die Musik. Und wie erst die Sängerinnen und Sänger über Reimann schwärmen. Er sei es, der als einziger verstanden habe, wie man für und nicht gegen die Stimme komponiert. Seine Lieder „liegen“ ganz natürlich im Hals, er kennt das vokale Instrument in- und auswendig. Neben seinen zahlreichen Vokalschaffungen mit Ensemble oder Opernorchester hat Reimann über fünfzehn Lieder seit dem Jahr 2000 komponiert. Und wie Reimann arbeitet, zeigt sich hervorragend an seiner Bearbeitung für Streichquartett und Stimme von Mendelssohn-Liedern. Es ist herrlich, die Transkription sprengt den Raum, breitet sich aus und ist nicht mehr zu stoppen. Das ist vielleicht das herrlichste, was heute noch passieren kann. Aus Alt wird Neu und Zukünftig.




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