#musikstimmen

Hier sind Musikerinnen und Musiker zu Gast. Mit Meinungsbeiträgen und direkten Einblicken aus dem Kulturbetrieb.

Von niusic Kollektiv, 16.04.2021

Blumen.

Die ungleiche Behandlung von Männern und Frauen in der Musikbranche zeigt sich nicht nur in Führungspositionen, im Gegenteil: Sie beginnt ganz klein und subtil, bei Wein und Blumensträußen. Die Bratschistin Liisa Randalu spürt das regelmäßig am eigenen Leib.

Applaus. Es gibt Bravo-Rufe. Wir erheben uns nach ungefähr 50 Minuten Beethovens op. 131 von unseren Stühlen, der Schweiß rinnt uns den Körper herunter und eine völlige Erschöpfung, gepaart mit Euphorie und Erleichterung macht sich breit. Wir haben alles in und durch die Musik gegeben. Dieses Werk fragt nicht nach Optionen oder Möglichkeiten (oder gar Geschlecht), es verlangt das Maximum an Können und Ausdruck – ein Grenzgänger und Grenzsprenger in jeder Hinsicht.
Nach weiterem Applaus und einer Zugabe richtet der Veranstalter abschließende Worte des Dankes an uns und wir bekommen traditionell ein Geschenk. Ich erspähe an Form und Größe, dass es sich um Wein handelnd muss. Wie schön, die Gegend ist bekannt für ihre guten Weine. Bei mir angekommen, streckt mir die freundliche Dame einen Blumenstrauß entgegen. Okay. Meine Kollegen bekommen Wein, ich bekomme Blumen. Dankend nehme ich sie entgegen, sie sind wunderschön. Ich liebe Blumen, keine Frage. Aber eine Frage drängt sich dennoch auf: Wie kommt es dazu?

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Männer werden im beruflichen Kontext als geschlechtsneutral wahrgenommen

Beispiele dieser Art gibt es einige. Es gab Konzerte, nach denen die Herren komplett mit leeren Händen dastanden und ich daneben mit einem großen Blumenstrauß. Oder ich einen Weißwein und meine Kollegen Rotwein bekamen. Sogar mit Schokolade wurde schon unterschieden, ohne dass ich das hier näher erläutern müsste.
Es wird ein Unterschied gemacht. Dreht man das als Gedankenexperiment mal um, die Damen bekommen die Flasche Alkohol und die Herren einen prächtigen Blumenstrauß, dann ruft das unweigerlich eine Komik hervor – oder vielleicht wäre das mal ein interessantes Verhaltensexperiment? Auch hinter der Bühne kristallisiert sich immer wieder ein Bild heraus, das in der Wirtschaft schon lange Thema ist: Männer werden im beruflichen Kontext in erster Linie als geschlechtsneutral wahrgenommen, und somit rückt ihre Leistung und Rolle im jeweiligen Berufsfeld in den Vordergrund. Frauen werden zu allererst als Frauen wahrgenommen: das schöne Kleid, der elegante Hosenanzug, die blonden Haare ... und dann natürlich auch Können und Leistung. Ist das ein Problem? Nein. Und ja.

Das Bild erinnert mich an eine Sandkastenszene: Ich sitze mit einem Jungen da, wir bekommen Spielsachen gebracht. Ich strecke mich nach dem Bagger, bekomme aber das Ponyförmchen – der Bagger geht an meinen Spielkameraden. Aus irgendeinem Grund ist für mich von vornherein das Ponyförmchen bestimmt, ganz selbstverständlich. Als Kinder interessieren uns Geschlechterrollen recht wenig, allerdings bekommen wir schon früh einen Bewertungskatalog mit auf den Weg, der uns Orientierung gibt, was anscheinend besonders weiblich und was besonders männlich ist.
Ich bin gerne eine Frau und ich empfinde die Unterschiede und individuellen, sozial geprägten Qualitäten von Menschen nicht nur schön, sondern, gerade im beruflichen Kontext, als sich gegenseitig bereichernd und ergänzend. Visuelles Auftreten spielt eine große Rolle, und ich persönlich bin sehr dafür, dass Menschen sich stilvoll präsentieren, die in einer exponierten Position, wie zum Beispiel der Bühne, agieren, und ihre Kunst mit anderen teilen. Ob man damit die eigene Persönlichkeit unterstreicht oder eventuell sogar die Erwartung der Leute irritiert, um auf diese aufmerksam zu machen, hat beispielsweise Lady Gaga mit ihren provokanten Outfits auf den Punkt gebracht.

Der Frauenanteil in der Musikbranche liegt bei circa 20 Prozent

Letzen Endes ist es doch so: Wir sind alle Menschen und wir alle haben unsere ganz eigene Art unsere einzigartige Persönlichkeit und Kompetenz zum Ausdruck zu bringen – ob im Alltag oder im Job, sprich auf der Bühne. Und dafür möchte auch jede:r wahrgenommen werden; egal, ob das nach Katalog nun besonders weiblich oder männlich ist. Der Frauenanteil in der Musikbranche bewegt sich im Schnitt bei circa 20 Prozent, und diese Verteilung kann ich aus eigener Erfahrung nur bestätigen.
Wie es schon die Genderforschung verfolgt, sollten wir alle unsere internalisierten Vorstellungen hinterfragen, und generell kann man Frauen nur dazu ermutigen sich sichtbarer zu machen. Wenn das von außen zusätzlich bestärkt, gesehen und gewertschätzt wird, umso schöner.

Nach einem Konzert mit meinem Streichquartett und noch fünf weiteren Kollegen stand ich gemeinsam mit acht Männern auf der Bühne. Wir alle bekamen Blumen, doch bei mir steckte noch zusätzlich eine rote Rose mit drin. Eine sehr schöne und dezente Art Anerkennung und Wertschätzung zum Ausdruck zu bringen, ohne offensichtlich zu unterscheiden. Oder anders: Wenn wir alle Bagger bekommen, dann nehme ich auch den grünen, gelben, bunten mit Glitzer – kein Problem.

(c) Kaupo Kikkas
(c) Dominik Scythe/ unsplash.com


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