#musikstimmen

Hier sind Musikerinnen und Musiker zu Gast. Mit Meinungsbeiträgen und direkten Einblicken aus dem Kulturbetrieb.

Von niusic Kollektiv, 21.12.2020

Beethoven for president!

Was hat uns Beethovens Musik hier und heute, im abgeblasenen Beethovenjahr 2020, zu sagen? Gedanken von Pianist Herbert Schuch über Politisierung, verfestigte Überzeugungen und Beethoven als Bundeskanzler. Ein Gastbeitrag.

Groß sollte der Geburtstag von Beethoven in diesem Jahr gefeiert werden. Nun ist es ein stummer Geburtstag geworden, aber es gibt trotz der Corona-Stille viele neue Aufnahmen, Streams und Geisterkonzerte zum Thema Beethoven. Und wir Musiker:innen beschäftigen uns mit dieser über 200 Jahre alten Musik so selbstverständlich, tagein, tagaus. Irgendwann in dieser konzertlosen Leere der Corona- Zeit beschlich mich der Gedanke: Hat uns diese Musik eigentlich noch etwas zu sagen? Hier, heute, 2020? Jede:r Musiker:in wird diese Frage sicherlich mit „Ja“ beantworten. Aber warum genau?

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Hier sind Musikerinnen und Musiker zu Gast. Mit Meinungsbeiträgen und direkten Einblicken aus dem Kulturbetrieb.

Beethoven hat nach 250 Jahren immer noch eine Widerständigkeit, die mich fasziniert. Die Musik lässt sich nicht allein mit schnellen Fingern, angeborenem Temperament und viel Emotion aufschlüsseln. Da muss um den Sinn, das Verstehen eines jeden Taktes gerungen werden. Wenn ich mich an meine ersten Beethoven-Sonaten erinnere, die ich mit dreizehn, vierzehn Jahren gespielt habe: Selten habe ich mich so überfordert gefühlt. Und das Gefühl, dieser Musik nie vollständig gerecht werden zu können, bleibt. Immer wieder kommen neue Aspekte hinzu, des Lernens und Staunens ist kein Ende. So sieht es zumindest in unserer Profi-Nische aus. Bekommt jemand außerhalb davon eigentlich etwas mit? Was mich zum eigentlichen Thema bringt, nämlich, wo Beethoven in der öffentlichen Welt seinen Platz hat?

Beethoven wiederholt sich nicht.

Es scheint sich die Überzeugung verfestigt zu haben, Beethoven entweder als den großen Humanisten oder Revolutionär darstellen zu müssen. Was aber ist denn wirklich revolutionär an seiner Musik? Sind es wirklich die schnellen Tempi und unbändigen Sforzati, die seine Musik so wertvoll machen? Nichts gegen einen knackigen Akzent, ich mag das wirklich auch sehr gerne – aber ist es wirklich so einfach um den politischen Inhalt seiner Musik bestellt?

Was mir in meiner Beschäftigung mit Beethoven immer wieder auffällt: Er wiederholt sich nicht. Es gibt in jedem Satz jeder Sonate, jedes Quartetts, eine einmalige Verbindung aus Form und Inhalt, mithin also eine unglaubliche Differenzierung von musikalischen Abläufen. Im Grunde genommen müssen wir für jedes Stück neu anfangen, darüber nachzudenken. Wir müssen uns um jedes Detail kümmern, es dann in einen Zusammenhang stellen und schauen, wie wir die enormen Gegensätze, die Beethoven in einem einzelnen Werk, manchmal in wenigen Takten komponiert und komprimiert, in Verbindung miteinander setzen können.

In Balance bringen, Kompromisse finden

Verbindung ist das Zauberwort. Hier steht nichts einfach nur so schroff oder irrational nebeneinander, wie beim „Vorläufer“ Beethovens, Carl Philipp Emanuel Bach. Mein Gedanke ist nun: Ist nicht dieses Prinzip, das Detail und das Ganze in Verbindung zu bringen, Gegensätze zu verhandeln und sie miteinander in Balance zu bringen, immer wieder neue Abläufe zu planen, zu differenzieren, im Grunde genommen die Basis einer Demokratie? Ist nicht Beethovens Art zu komponieren unglaublich politisch in einem ganz modernen, aufgeklärten Sinn einer guten Demokratie, und eben nicht „nur“ revolutionär? Und was bedeutet das für uns Interpret:innen? Es bedeutet auf jeden Fall, dass wir die Verpflichtung haben, etwas von dieser Mannigfaltigkeit und Vieldeutigkeit in Klang übersetzen müssen. Nicht das eine (zum Beispiel Tempo) als absolut zu betrachten und dem alles andere unterzuordnen, sondern aus allen Informationen im Text den bestmöglichen Kompromiss herzustellen, der mehr abbildet als die diktatorische Entscheidung für nur einen der vielen Parameter, die Beethovens Musik definieren.

Der zur Schau gestellte musikalische Effekt auf Kosten des Sinnzusammenhangs wäre dann so etwas wie der Donald Trump der Musik: Brauchen wir das wirklich noch?

Auf die „richtige“ Welt übertragen: Mit der Fähigkeit, Kompromisse zu schließen, meine ich nicht die Verwässerungen politischer Ideen durch Grabenkämpfe. Es muss eben immer um Inhalte gehen, um das beste Ergebnis für alle in einer Gemeinschaft. Und dann bedeutet ein Kompromiss nichts weniger, als zu versuchen, möglichst viel Wichtiges zu Wort und Geltung kommen zu lassen. Der zur Schau gestellte musikalische Effekt auf Kosten des Sinnzusammenhangs wäre dann so etwas wie der Donald Trump der Musik: alle (zumindest die Musikkritiker:innen) schauen hin und kommentieren, weil: auffällig. Aber brauchen wir das wirklich noch?

Was wir außerdem bei Beethoven im Überfluss finden, aber in der Politik vergeblich suchen würden: die Herzenswärme, der Humor, mit dem Beethoven die Hörer:innen musikalisch umarmt. Und auf einmal ist die Musik auf einer ganz anderen Ebene und zeigt uns eine Welt, wie wir sie uns nur erträumen können. Ich wünsche mir, dass Beethovens Musik so interpretiert wird, dass diese immanente politische Qualität seiner Musik wahrgenommen werden kann.

Was wir gerade brauchen, sind keine Revolutionen. Ich liebe Beethovens rauschhafte siebte Sinfonie, seine geradewegs ins Verderben laufende Appassionata. Aber bildet sie nicht nur einen ganz kleinen Teil des Kosmos dieses so überwältigend facettenreichen Komponisten ab? Aber klar, wer lässt sich nicht durch diese gewaltige Musik in seinen Emotionen hochpeitschen?

Ein neues, differenziertes Beethoven-Bild

Ich glaube es wäre schön, wenn sich unsere Politiker:innen nicht nur zu öffentlichen Anlässen mit der 9. Sinfonie in ihrer eigenen Großartigkeit bestätigen lassen würden. Wie wäre es, mal ein Kammermusikwerk oder eine Sonate zu hören, sie denkend zu hören, und zu lernen, wie unendlich differenziert und reichhaltig und anregend und eben nicht „nur“ unterhaltend das ist, womit wir Musiker:innen unser Leben verbringen dürfen.

Vielleicht können wir so auch ein neues, differenziertes Beethoven-Bild zeichnen, eines, das rein aus den Inhalten der Musik hochaktuell, hochpolitisch und relevant ist. Ist das ein wenig naiv oder idealistisch? Ja, sicher. Aber Beethovens Musik hat das Potenzial dazu. Wir müssen uns einfach mehr anstrengen. Beethoven meinte einmal: wie schade, dass er nicht ein so guter Feldherr wie Komponist sei, sonst hätte er Napoleon sicher besiegt. Nun, wie gut für uns, dass er tatsächlich bei der Musik geblieben ist. Aber … so ein Beethoven als Bundeskanzler: das wäre doch was!

Herbert Schuch ist 1979 in Timișoara, Rumänien geboren. Er studierte am Salzburger Mozarteum in der Klasse von Karl-Heinz Kämmerling. Bei seinen CDs und Konzertprogrammen legt er besonderen Wert auf Konzept und Dramaturgie.

Fotos: Pixabay, Felix Broede


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