#musikstimmen

Hier sind Musikerinnen und Musiker zu Gast. Mit Meinungsbeiträgen und direkten Einblicken aus dem Kulturbetrieb.

Von niusic Kollektiv, 12.02.2021

Wo bleibt unsere Lobby?

Die Inzidenzzahlen bleiben hoch, die Kultureinrichtungen geschlossen. Andere Sektoren wiederum scheinen noch immer vom Lockdown ausgenommen. Ein Privileg, das auf den Schultern derjenigen ausgetragen wird, die seit Monaten zuhause ausharren: Je mehr Ausnahmen, desto länger müssen wir Musiker:innen, Künstler:innen, Freischaffende, Selbstständige auf Gehalt und Lebensinhalt verzichten. Und deshalb haben wir das Recht, genau hinzusehen, wer diejenigen sind, für die Ausnahmeregelungen selbstverständlich geworden sind. Wir müssen uns einmischen. Auf die richtige Art. Ein Gastbeitrag von Titus Engel.

Es ist offensichtlich, dass etwas getan werden musste, um die zweite Welle zu stoppen. Hier ist mittlerweile aber etwas gewaltig in Ungleichgewicht geraten. Die deutsche Regierung untersagt uns Kulturschaffenden seit November, unseren Berufen nachzugehen. Konsum, Industrie und Reisefreiheit werden als relevanter bewertet als die Kultur. Dabei haben die Theater, Opern- und Konzerthäuser hervorragende Hygienekonzepte entwickelt. Viel Zeit und Budget darauf verwendet, praktikable Lösungen zu finden. Die Ansteckungsgefahr ist in einem vernünftig belüfteten Theater unter entsprechenden Maßnahmen deutlich niedriger als beispielsweise in öffentlichen Verkehrsmitteln oder in Konsumtempeln! Doch während die einen seit Monaten zuhause ausharren, scheint sich im Alltag anderer Branchen noch immer wenig verändert zu haben. Etwa wenn Arbeitgeber:innen ihre Mitarbeiter:innen weiterhin ins Büro bestellen, obwohl sie ihre Arbeit problemlos von zuhause machen können.

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Hier sind Musikerinnen und Musiker zu Gast. Mit Meinungsbeiträgen und direkten Einblicken aus dem Kulturbetrieb.

Natürlich stecken sich da Menschen an. Je mehr Bereiche es gibt, in denen man nicht fragt, was solidarisch ist, sondern was sich im Bereich des Legalen bewegt, desto länger dauert auch dieser Lockdown. Und er trifft gerade diejenigen hart, die gar keine Möglichkeit haben zu entscheiden, was notwendig ist oder nicht. Wäre nicht ein harter – im Sinne von: für alle geltender – Lockdown, wie er in Frankreich, Israel, Australien praktiziert wurde, viel sinnvoller, weil effizienter und gerechter?

Es gibt keinen einzigen vernünftigen Grund, uns für das unsolidarische Verhalten der Privatwirtschaft abzustrafen.

Es gibt den wirtschaftlichen Faktor der Kultur. Es gibt den Bildungsauftrag. Und da lag schon vor der Corona-Krise einiges im Argen. Ich mache mir Sorgen um die Langzeitschäden für die Gesellschaft. Wenn jetzt ganze Jahrgänge von Schüler:innen keine Theateraufführung besucht, bei keinem Education-Projekt mitmacht, kann das nicht mehr nachgeholt werden. Wir wissen, dass es gerade diese Erlebnisse in der Jugend sind, die uns prägen. Gerade weil der digitale Alltag bei den Jugendlichen so omnipräsent ist, sind kulturelle Live-Erlebnisse für die geistige Entwicklung so entscheidend. Musik- und Theateraufführung sind seit den Griechen maßgebend für die Katharsis, sie „Läutern die Seele vor den Leidenschaften“. Und diese können gerade sehr viele Menschen nicht ausleben. Das führt zum Beispiel zu seelischen Anspannungen. – Nein, Musik und Kultur sind keine Allheilmittel. Sie sind aber Orte der Bildung, der Träume, der Utopie, des Sich-heraus-Denkens aus festgefahrenen Mustern. Wäre es in diesem Kontext nicht unbedingt notwendig sie so bald wie möglich wieder zu öffnen?

Ich frage mich, wo unsere Lobby bleibt, die solche Argumente auf höchster politischer Ebene einbringt? Die der Politik klar signalisiert, dass wir bereit sind, unseren Teil dafür zu tun, dass wir diese Pandemie bald überstanden haben. Und dass es aber keinen einzigen vernünftigen Grund gibt, uns für das unsolidarische Verhalten der Privatwirtschaft abzustrafen.

Eine gemeinsame und koordinierte Weichenstellung

Auch im Hinblick auf die Aufräumarbeiten, die nach der Krise stattfinden werden, ist es sehr wichtig, dass wir gut aufgestellt sind. Ich sehe zu wenige Kulturschaffende in den Talkshows, zu wenig öffentliches Auftreten der Kulturmanager:innen, Intendant:innen, Solist:innen und Dirigent:innen. Sollten die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten nicht zumindest versuchen, die Kultur vielfältig, in Gänze abzubilden? Stattdessen kommen immer wieder dieselben Gestalten zu Wort.

Seid solidarisch und fordert Solidarität von anderen ein

Es ist aber auch an uns selbst: Wir müssen aufpassen, dass nicht jede:r vereinzelt nur an den eigenen Problemen doktert, sondern dass wir Kulturschaffende das große Ganze nicht aus dem Blick verlieren. Es geht jetzt um eine gemeinsame und koordinierte Weichenstellung, wie es jetzt weitergeht und wie es nach der Pandemie weitergeht und dafür müssen wir uns stark positionieren. Es ist klar, dass es zu weiteren Einsparversuchen kommen wird, in Bayern ist es ja bereits geschehen. Warum werden Konzerne ohne mit der Wimper zu zucken mit Milliardenbeträgen unterstützt, aber bei kulturellen Institutionen wird gestrichen? Lasst uns einstehen für eine kulturell lebendige Gesellschaft in der Post-Corona Zeit.

In diesem Sinne, liebe Kulturschaffende, liebe Kulturfreund:innen, nehmt Kontakt auf zur Politik und den Meinungsmacher:innen. Arbeitet zusammen. Hört den Wissenschaftler:innen zu, beteiligt euch an den Debatten zur Bekämpfung der Pandemie. Seid solidarisch – und fordert diese Solidarität von anderen ein. Die Zeiten sind vorbei, in denen wir uns leisten konnten, stillzuschweigen.

Fotos: pixabay


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