#stayarthome
In Zeiten von Ausgangssperren und Kontaktverboten müssen Künstlerinnen und Künstler neue Wege finden, die Menschen zu erreichen. Die niusic-Themenreihe zur Corona-Pandemie.
In Zeiten von Ausgangssperren und Kontaktverboten müssen Künstlerinnen und Künstler neue Wege finden, die Menschen zu erreichen. Die niusic-Themenreihe zur Corona-Pandemie.
niusic: Was bedeutet die Corona-Pandemie für die Opernhäuser und Theater in Deutschland?
Michael Schulz: Für die Kultur ist das natürlich eine Katastrophe. Das geht bei der Wortwahl los, dass man gesagt hat: Wir können die Betriebe bitten, ihre Arbeit einzustellen, die als „verzichtbar“ gelten. Das hört kein:e Kulturschaffende:r gerne. Ganz so harsch ist das natürlich nicht gemeint – aber sobald es darum geht, wer „systemrelevant“ ist und wer nicht, stellen wir doch fest, dass uns unglaublich viel verloren geht.
In Zeiten von Ausgangssperren und Kontaktverboten müssen Künstlerinnen und Künstler neue Wege finden, die Menschen zu erreichen. Die niusic-Themenreihe zur Corona-Pandemie.
niusic: Sie denken da an ...
Schulz: ... die kleineren Häuser und Freischaffenden, die jetzt nicht aufgefangen werden, die keine Rücklagen bilden konnten und in kürzester Zeit an die Grenzen ihrer Existenzgrundlage geraten. Und die Haltung: „Ach, die armen Gaukler“, die greift an dieser Stelle in unserer Gesellschaft nicht mehr. Das ist ein romantisches Bild aus dem 19. Jahrhundert, das aber für unsere Gesellschaft überhaupt nicht mehr relevant ist. Und darum mache ich mir wirklich, wirklich große Sorgen und hoffe, dass da – bei allen Problemen in anderen Bereichen der Gesellschaft – eine große Solidarität entsteht. Denn ohne die Kultur, ohne die Kunst und ohne die Künstlerinnen und Künstler ist diese Gesellschaft wahnsinnig arm.
niusic: Haben Sie hier, am Musiktheater im Revier, viele Freie, die das betrifft?
Schulz: Gerade auf der Bühne arbeiten wir mit freien Künstler:innen zusammen, das geht mit den Regieteams los, die als Gäste hier sind, es gibt Sängerinnen und Sänger, die von außerhalb kommen – und insbesondere im Musical-Bereich, wo die Gagen nicht sehr hoch sind, geht es schnell um die Existenz, schon wenn drei, vier, Vorstellungen wegbrechen. Ebenso für alle Kolleg:innen, die aus dem Ausland kommen.
niusic: Wie gehen Sie damit um?
Schulz: Wir müssen uns von Tag zu Tag neu mit der Situation auseinandersetzen, da sich die Parameter so schnell ändern. Derzeit ist die Einstellung des Spielbetriebs für sechs Wochen geplant – was machen wir also mit den drei Premieren, die in der Zeit eigentlich geplant waren? Was können wir nachholen, wie disponieren wir um? Wir müssen mehrere Pläne entwickeln, denn wir können nicht ausschließen, dass wir am 20. April wieder öffnen können. Oder aber die Sperre wird verlängert und möglicherweise ist die ganze Spielzeit eigentlich schon zu Ende. Wie gehen wir in der nächsten Saison damit um? Um noch gar nicht von den wirtschaftlichen Folgen zu sprechen, die natürlich kommen werden, das ist klar. Uns fehlen Einnahmen und je länger das dauert, desto höher werden die sein.
niusic: Die Stadt Gelsenkirchen hat Schulden in Milliardenhöhe – wieviel Rückhalt gibt es seitens der Politik jetzt noch für das MiR?
Schulz: Wir haben es in Gelsenkirchen mit einer Stadt zu tun, die dieses Musiktheater möchte, die da sehr offen und auch verantwortungsvoll mit umgeht. Die Stadt hat uns gegenüber schon geäußert, als es klar war, dass die behördliche Schließung des Spielbetriebes beschlossen ist, dass man weiß, was das für das Haus bedeutet und dass man uns da nicht im Regen stehen lassen wird. Konkretere Aussagen gibt es nicht an dieser Stelle, aber wir werten das als ein außerordentlich positives Zeichen und es zeigt den Stil, den die Stadt schon seit Jahrzehnten mit diesem Haus führt. Nichtsdestotrotz hoffen wir auch, dass die Bundesregierung die avisierten Hilfsfonds schnell und unbürokratisch einrichtet, damit diejenigen, die es nicht so komfortabel haben wie wir derzeit, da aufgefangen werden.
niusic: Sehen Sie Wege, wie man produktiv mit der Krise umgehen kann?
Schulz: Es ist gerade ganz deutlich, wie sehr alle kulturellen Veranstaltungen den Menschen fehlen. Deswegen: Vielleicht wird es auch so sein, wenn wir diese Zeit hinter uns haben, dass es auch wieder ein großes Interesse dafür geben wird, in die Häuser zu gehen und sich auf diese Art anregen und unterhalten zu lassen.
niusic: Einige denken jetzt ja über Streaming nach – ist das für ein Opernhaus überhaupt eine Perspektive?
Schulz: Natürlich ist das eine Perspektive und auch wir denken darüber nach. Wir müssen aber in diesem Augenblick die Gesundheit unserer Mitarbeiter:innen im Blick behalten, weil die Kollektive Orchester, Tanz und Chor zum Beispiel immer sehr eng miteinander arbeiten und die Gefahr der Infektion einfach groß ist, ebenso bei szenischen Vorgängen – ich meine: Kein Stück kommt ohne Liebesszene aus, es wird sich ständig berührt, man ist sich sehr nah. Da muss man überlegen: Sind das überhaupt noch die Formate, die man jetzt streamen sollte?
niusic: Welche Alternativen gibt es?
Schulz: Andere Formen zu finden ist eine Herausforderung, klar. Zum Beispiel bitten wir unsere Tänzer:innen, Sänger:innen und Puppenspielerinnen um Aufnahmen aus dem Homeoffice, die wir regelmäßig über Social Media und auf unserer Website veröffentlichen. Außerdem bieten unsere Theaterpädagoginnen Videos zur Unterhaltung, Blicke hinter die Kulissen und Spielerisches wie Basteltipps für Musikinstrumente an. Wir möchten gern jeden Freitag um 18 Uhr auf Social Media ein Video streamen, das auch hinterher auf unserer Homepage verfügbar sein wird. Dabei soll es darum gehen: Was passiert eigentlich in einem Musiktheater, wenn dort keine szenischen Proben stattfinden? Und wir schauen, ob wir vielleicht in unseren Archiven Dinge haben, die man ins Netz stellen kann. Und doch muss man immer sagen: Das abgefilmte Theaterereignis ersetzt nie das Live-Erlebnis im Zuschauerraum. Das ist unersetzlich.
Saal © Musiktheater im Revier / Anna-Lea Knubben