#stayarthome

In Zeiten von Ausgangssperren und Kontaktverboten müssen Künstlerinnen und Künstler neue Wege finden, die Menschen zu erreichen. Die niusic-Themenreihe zur Corona-Pandemie.

Von Malte Hemmerich, 08.04.2020

Die Angst, in Vergessenheit zu geraten

Die Krise kam für ihn eher überraschend: Was plant Niklas Liepe nun? Warum Künstlerinnen und Künstler auch jetzt noch oft in einer Blase leben und was er für das Kulturleben nach Corona fürchtet, erzählt der Geiger im Interview.

niusic: Wie hast du die Krise bisher beruflich erlebt?

Niklas Liepe: Als einen schleichenden Prozess. Erst wurden die großen Konzerte im Rahmen meiner Paganini-Projekt Tour abgesagt, aber in der Elbphilharmonie konnten wir dann noch spielen. Die Woche danach waren dann schon kleine Rezitals nicht mehr möglich. Nun fällt erst einmal bis Ende April alles aus. Am Anfang war ich naiv, aber mittlerweile sehe ich ein, dass es so auch die einzige Möglichkeit ist, die Pandemie einzudämmen.

#stayarthome

In Zeiten von Ausgangssperren und Kontaktverboten müssen Künstlerinnen und Künstler neue Wege finden, die Menschen zu erreichen. Die niusic-Themenreihe zur Corona-Pandemie.

niusic: Was passiert denn, wenn auch die Konzerte im Sommer noch ausfallen?

Niklas Liepe: Ja, das ist gerade das Unangenehme. Es kann sein, dass die Saison abgehakt ist. Man plant als Freischaffende:r ja meist ein Polster ein, denn es kann immer mal einen Monat Flaute sein, oder man wird krank. Aber dann ... Es gibt die Fonds. In Hamburg habe ich den ersten Antrag auf Soforthilfe gestellt und das war wirklich einfach, das ganze Verfahren.

niusic: Du hast aber schon viel in Proben und dergleichen investiert, zahlen alle Veranstalter jetzt gar kein Honorar?

Niklas Liepe: Da sind irgendwie drei Optionen. Manche zahlen die Gage noch, manche zahlen die Hälfte und einige Veranstalter zahlen nichts. Ich habe bei meinen Terminen alle drei Möglichkeiten erlebt. Und es wird was verschoben ...

niusic: „Tickets bitte nicht zurückgeben“ – ein kluger Appell?

Niklas Liepe: Ich würde es differenzieren: Wenn es finanziell machbar ist, auf das Geld zu verzichten, dann ja. Aber wir dürfen nicht vergessen, wie viele Menschen gerade finanzielle Einbußen hinnehmen müssen.

„Ich denke man hat jetzt Angst, dass man vergessen wird.“

niusic: Du kannst deinen Job ja immer noch machen und am Instrument üben.

Niklas Liepe: Ja und es funktioniert sogar als Flucht aus dieser schweren Zeit. Ich bin privilegiert, kann am Instrument immer noch vollkommen abschalten. So ohne jeglichen Druck Repertoire erarbeiten, das ist eine Zeit lang toll. Was man merkt: Die Kulturwelt lebt einfach, wie immer, weiter in ihrer Blase. Etwas getrennt von den Problemen der echten Welt. Ich meine, ich denke darüber nach, mal einen Livestream mit meinem Label Sony zu machen, andere haben gar nichts gerade, das muss man sich mal vorstellen!



niusic: Warum überschlagen sich Kulturschaffende gerade mit Angeboten im Netz?

Niklas Liepe: Ich denke man hat jetzt Angst, dass man vergessen wird. Jeder macht Klassikstreams und wer weiß, vielleicht erreichen wir wirklich ein paar Leute, die sonst nie damit in Berührung gekommen wären, oder muntern Menschen auf. Aber gerade frage ich mich manchmal: Ist überhaupt so viel Nachfrage da? Wie viel schöner wäre es doch, wenn nach der Krise einfach noch genauso viele Künstler:innen da wären und Leute, die auch weiter ins Konzert kommen, oder sogar noch mehr als sonst!

niusic: Musst du auch wieder unbedingt ein Publikum haben, auf der Bühne stehen?

Niklas Liepe: Ich nehme mich nicht so wichtig, denke ich. Ein bisschen Zurückhaltung tut uns ganz gut. Innehalten. Bei mir im Haus biete ich Einkaufsdienste an. Das ist viel wichtiger als jeden Abend vor eine Kamera zu gehen.

niusic: Was wird sich ändern, danach, in der Kulturszene?

Niklas Liepe: Das ist schwer abzuschätzen. Ich sorge mich um die vielen jungen und kreativen Ensembles, die kurz vor dem Durchbruch standen. Die müssen es schaffen. Der deutsche Musikmarkt ist ja sowieso sehr schwer anzukurbeln ...

niusic: Glaubst du es gibt die gerade vielbeschworenen positiven Seiten der Krise?

Niklas Liepe: Es wird mehr gegrüßt, man redet wieder länger und gesamtgesellschaftlich ist es jetzt egal, in welchem Lager man ist. Alle arbeiten an der Lösung eines Problems.
Trotzdem, die vielen persönlichen Schicksale, und Existenzen, die in die Brüche gehen. Es ist eine unangenehme Zeit.

Zur Person: Der Geiger Niklas Liepe

Niklas Liepe wurde in Göttingen geboren und studierte in Hannover und Köln. Seitdem ist er mit seiner Guarneri als selbstständiger Musiker und Solist bei großen Orchestern zu Gast, widmet sich auch der Kammermusik und besonderen Projekten: „Ich möchte Menschen die Berührungsängste mit dem Gegenstand Klassik nehmen", sagt er. Ein Beispiel dafür sein New Paganini-Projekt, das 2018 auf CD erschien. Hier hat Liepe selbst Kompositionsaufträge vergeben und die 22 Caprices des Teufelsgeigers in verschiedenen, auch populären Stilen bearbeiten lassen.

© niklasliepe.com


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