#jubileo
Berühmte Kinder der Stadt – Fluch oder Segen? Wie Orte versuchen, das Image ihrer Komponisten für ihre Bekanntheit zu nutzen, beleuchten wir am Beispiel der Augsburger Aktivitäten rund um Leopold Mozarts 300. Geburtstag.
Berühmte Kinder der Stadt – Fluch oder Segen? Wie Orte versuchen, das Image ihrer Komponisten für ihre Bekanntheit zu nutzen, beleuchten wir am Beispiel der Augsburger Aktivitäten rund um Leopold Mozarts 300. Geburtstag.
niusic: Das Festjahr für 300 Jahre Leopold Mozart neigt sich dem Ende zu. Wir haben Zuhörerinnen und Zuhörer gefragt, was ihr Favorit aus dem Programm war und erstaunlich oft lautete die Antwort: das Konzert mit Geigerin Isabelle Faust. Sie hat alle Sonaten und Partiten für Solovioline von Johann Sebastian Bach an einem Abend aufgeführt. Sind Sie überrascht, dass die Wahl auf gerade dieses Konzert fällt?
Simon Pickel: Es war ein überirdisches Konzert. So etwas habe ich bei all den Konzerten, die ich schon gehört habe, selten erlebt. Die Welt schien stehenzubleiben! Das hat mir wieder gezeigt: Man kann planen so viel man möchte – die magischen Momente entstehen nur im Augenblick, unvorhersehbar.
Berühmte Kinder der Stadt – Fluch oder Segen? Wie Orte versuchen, das Image ihrer Komponisten für ihre Bekanntheit zu nutzen, beleuchten wir am Beispiel der Augsburger Aktivitäten rund um Leopold Mozarts 300. Geburtstag.
niusic: Tut es nicht weh, dass kein Mozartprogramm das Rennen gemacht hat, sondern Bach?
Pickel: Wir haben die Konzerte sogar bewusst so programmiert, dass wir nicht nur Leopold Mozart spielen. Viele seiner Werke gehören eher ins Wirtshaus, nicht in den Konzertsaal. Uns ging es um sein Vermächtnis. Wir wollten zum Beispiel darstellen, woher sein Verständnis für das Violinspiel und seine Violinschule kommen. Da kommt man an den Bach’schen Partiten und Sonaten gar nicht vorbei. Ganz abgesehen davon, dass ich persönlich sowieso der größte Bach-Fan überhaupt bin, vielleicht mache ich hier mal ein Bachfest draus. (lacht) Nein, im Ernst: Diese Musik kann nur Bach.
niusic: In flippiger Magenta-Farbe und blondweißer Perücke haben Sie Leopold Mozart in diesem Jahr vermarktet. Bei den Zuhörer*innen, die wir befragt haben, kam das gut an. Gerade das ältere Publikum meinte, die Figur – ob auf der Straßenbahn abgedruckt oder als schrill verkleideter Schauspieler – habe nicht nur viel Aufmerksamkeit erregt, sondern sei auch sehr jung dahergekommen. Spiegelt das Ihre Sicht nach diesem Jahr wider?
Pickel: Ich glaube das Pinke hat gut zu diesem Jubiläumsjahr gepasst, auch um wirklich Aufmerksamkeit zu erregen. Jetzt haben wir die Farbe aber wieder geändert, ein sehr schöner lachsfarbener Ton, der schon auf der neuen Homepage zu sehen ist. Wir nennen ihn „Mozart-Lachs“, ganz unironisch natürlich. Zu dem, was wir sonst beim Mozartfest machen, passt das Jubiläums-Pink einfach nicht, weil wir nicht schrill und flippig sind! Wir veranstalten zwar extrem hochwertige und moderne Konzertformate, aber dazu passt ein reduziertes, ansprechendes Design viel besser.
niusic: Stichwort „modern“: Auf die Frage, ob es Programmpunkte gab, die überrascht haben, hieß es, dass das Programm mit vielen bekannten Werken punkten konnte – überrascht habe es jedoch nicht. Enttäuscht Sie das?
Pickel: Nein, denn darauf war das Programm gar nicht angelegt. Eigentlich konfrontiere ich das Publikum gerne mit Unbekanntem und Ungewöhnlichem, das erschien mir im Jubiläumsjahr aber nicht angebracht. Wir wollten Leopold in seinen verschiedenen Facetten darstellen. Dadurch war natürlich alles sehr berechenbar. Wenn ich die Bach Partiten mache, ist das zwar ein einzigartiges Erlebnis, aber immer noch ein Solo-Violinkonzert und wenn ich Haydns Oratorium 71 „Die Schöpfung“ mache, dann ist das eben „Die Schöpfung“, nicht mehr und nicht weniger. Da hat man nicht viel Spielraum. Für nächstes Jahr plane ich allerdings wieder zwei Konzerte, bei denen es Aha-Momente geben wird.
Die Opern der Kirche. Hier geht es nicht unbedingt um sex and crime, sondern um geistliche Geschichten, und die Kostüme fehlen. Die Handlung wird von den Hauptfiguren, den Solisten und vom Chor musiziert. Gott frönen in der Musik, und das mit dramatischer Handlung. (CW) ↩
niusic: Hat sich das Bild von Leopold Mozart innerhalb des Jubiläumsjahres geändert? Die befragten Besucher*innen, die alle Einheimische sind, sagen, sie hätten seine Biografie auch vorher schon gut gekannt. Wie haben Sie das in den vergangenen Monaten wahrgenommen?
Pickel: Es ist das Grundproblem in Augsburg, dass hier zwar von einer „Mozartstadt“ gesprochen wird, aber immer unter einer Art Deckmäntelchen – nie wird gesagt, warum wir uns so nennen und dass es sich um Leopold Mozart handelt. Vielleicht liegt es auch ein wenig in der Augsburger Natur, vielleicht schämt man sich ein bisschen, dass eben nicht der große Wolfgang hier gewirkt hat, sondern „nur“ sein Vater von hier kommt. Das Verständnis dafür, dass wir die Leopold-Mozart-Stadt sind und darauf stolz sein können, ist in den vergangenen Monaten ein wenig größer geworden. Und auch die Aufmerksamkeit dafür. Wie lange das anhält, ist eine andere Frage. Aber ich denke wir haben jetzt viel dafür getan, dass sich am Selbstverständnis etwas ändert.
niusic: Zeit für ein bisschen Selbstkritik: Wenn Sie in eine Zeitmaschine steigen und sich selbst treffen könnten, vor anderthalb Jahren, mitten in der Planungsphase zum Jubiläum – welche Tipps hätten Sie parat und an welcher Stelle würden Sie sich auf die Schulter klopfen?
Pickel: Das ist schwer zu sagen. Es ist wirklich sehr vieles so gelaufen, wie wir es uns gedacht haben. Wir wollten keinen Hype um einen – böse gesagt – „Nischenkomponisten“ machen und ein Jahr lang so tun, als sei er der größte Komponist auf der Welt, um ihn dann in der Versenkung verschwinden zu lassen. Gleichzeitig war uns wichtig, möglichst viele Menschen anzuregen, sich an den Angeboten zu beteiligen. Beides hat aus meiner Sicht sehr gut funktioniert. Andere Dinge haben sich dafür als Nonsens erwiesen, etwa im Mai, als wir eine große Festivalzentrale in der Fußgängerzone errichtet haben, aber keine Sau gekommen ist. Auch bei den Gedenkmünzen für Leopold ist im Nachhinein fraglich, ob es sie gebraucht hätte. Aber das sind Erfahrungswerte, die sich nur aus dem Erlebten ergeben.
niusic: Nur noch zwei Wochen, dann ist das Jubiläumsjahr für Leopold vorbei. Mit welchem Gefühl werden Sie vor der Weihnachtspause die Bürotür abschließen?
Pickel: Mit großer Erschöpfung. Das Jahr war einfach unglaublich anstrengend – so schön wie es war, aber die letzten anderthalb Jahre gab es durchgehend kein anderes Thema und wir sind mit drei Leuten ein sehr kleines Team, mit dem wir das Jubiläumsprogramm stemmen mussten. Es gab keine Zeit, wirklich mal abzuschalten. Ich bin aber sehr froh, dass es so gut gelaufen ist und so viele Menschen, die sich sonst nie mit Leopold Mozart beschäftigen, in irgendeiner Art und Weise teilgenommen und Ideen eingebracht haben. Aber ich freue mich jetzt auch wahnsinnig auf die nächste Saison. Ich gestehe an dieser Stelle auch mal, dass ich ganz froh bin, mich jetzt erst einmal nicht mehr nur noch mit Leopold beschäftigen zu müssen.
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