#jubileo

Berühmte Kinder der Stadt – Fluch oder Segen? Wie Orte versuchen, das Image ihrer Komponisten für ihre Bekanntheit zu nutzen, beleuchten wir am Beispiel der Augsburger Aktivitäten rund um Leopold Mozarts 300. Geburtstag.

Von Konrad Bott, 30.05.2019

Pappa ante portas

„Nach dem lieben Gott kommt gleich der Papa“, hat Wolfgang Amadeus Mozart einmal geäußert. Große Worte, kennt man Leopold Mozart doch eigentlich nur als den dauerhaft verstimmten Ratgeber seines Sohnes. Die Musikwissenschaftlerin Silke Leopold widmet sich in ihrer Leopold Mozart-Biografie unter anderem einer missverstandenen Erziehung.

Verschwörungstheoretiker, politische Splittergruppen, religiöse Fanatiker – solche Menschen sind es, die man mit Homeschooling in Verbindung bringt, dem Unterrichten der eigenen Kinder in den eigenen vier Wänden. Bis weit ins 18. Jahrhundert war die Schulpflicht auch in vielen Gebieten des deutschsprachigen Raums – insbesondere den katholischen – noch keine Selbstverständlichkeit. Deshalb hatte Leopold Mozart in Salzburg die Möglichkeit, seinen hochbegabten Sohn Wolfgang Amadeus nach eigenem Geschmack zu erziehen. Das musikalische Genie, gefördert, gefordert, geformt durch die eiserne Hand des berechnenden Vaters. Oder?

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Berühmte Kinder der Stadt – Fluch oder Segen? Wie Orte versuchen, das Image ihrer Komponisten für ihre Bekanntheit zu nutzen, beleuchten wir am Beispiel der Augsburger Aktivitäten rund um Leopold Mozarts 300. Geburtstag.

Unfair und eindimensional, findet Silke Leopold. Man dürfe die Erziehung des kleinen Genies Wolfgang nicht alleine als das Produkt eines profitorientierten, geltungssüchtigen Vaters sehen. Die pensionierte Leiterin des musikwissenschaftlichen Instituts in Heidelberg veröffentlicht im Herbst eine Biografie Leopold Mozarts. Fachlich gewissenhaft und mit erzählerischer Leichtigkeit geht sie dabei auf das pädagogische Verhältnis Leopolds zu seinem Sohn ein. „Man sollte nicht so sehr psychologisieren“, sagt sie, „Leopold Mozart ist viel zu lange durch die Brille Wolfgangs betrachtet worden.“ Stattdessen wirft sie einen Blick auf die Zeit vor dem Bruch zwischen Vater und Sohn. Auf eine Zeit, in der Leopold Mozart sich noch nicht verbittert zeigt über die Tatsache, dass Wolfgang als erwachsener Mann nicht die Entscheidungen fällt, die der Vater sich wünscht. Dabei zeigt sich: Die pädagogische Absicht Leopold Mozarts ist vielschichtiger, als allgemein bekannt.

Bekommt Leopold den Hals nicht voll?

Die beschwerlichen Reisen, die Leopold mit seinen Kindern unternimmt, sind aus heutiger Sicht eine absolute Zumutung. Sowohl Wolfgang als auch Maria Anna erliegen an einem Punkt beinahe den Krankheiten, die die Strapazen mit sich bringen. Wie unverantwortlich! Schnell ist man geneigt, den Eifer, mit dem der Vater die Auftritte des Sohnes arrangiert, bewirbt und dokumentiert, als reinen Drill und Dressur zu betrachten. Bekommt Leopold den Hals nicht voll genug mit Ansehen und Geld? Bei näherer Betrachtung stellt sich heraus: So üppig ist der Lohn unterm Strich nicht. Stattdessen zeugen seine Aufzeichnungen von Liebe und Fürsorge gegenüber seinen Schützlingen. Für ihn steht felsenfest, dass Maria Anna und Wolfgang nur dann zu weltgewandten Menschen werden, wenn sie schon früh mit Gott und der Welt vertraut gemacht werden. Das sieht der Sohn nicht anders – der hält Jahre später in einem Brief an seinen Vater fest: „Ich versichere sie, ohne Reisen – wenigstens Leute von Künsten und Wissenschaften – ist man wohl ein armseliges Geschöpf!“

Leopold Mozarts Leben in Kurzform

Silke Leopold

„Leopold Mozart ist schon bewusst“, stellt Silke Leopold dazu fest, „dass die eigene Identität nicht die einzige auf der Welt ist. Dass es gilt, die Menschen zu verstehen, um die Vorgänge in der Welt zu begreifen.“ Seine Neugier, sein Tatendrang atmen den Geist der Aufklärung. Und mit diesem will er den Sohn, all seine Schüler, ja so viele Menschen wie möglich anstecken. In seinem erfolgreichen Lehrbuch „Versuch einer gründlichen Violinschule“ zeigt sich dieser Dienst an der Gesellschaft deutlich: „Wer hat es (die Violinschule) nöthiger, als der Dürftige, welcher nicht im Stande ist, sich auf lange Zeit einen Lehrmeister zu halten?“, heißt es dort. „Stecken nicht oft die besten und fähigsten Leute in der grösten Armuth; die, wenn sie ein taugliches Lehrbuch bey Händen hätten, in gar kurzer Zeit es sehr weit bringen könnten?“ Eine charmante Aufforderung, sich beim Erlernen der Spieltechnik des eigenen Verstandes zu bedienen.

Gottes Gabe in der Verantwortung des Menschen

Silke Leopold weist auf die freiheitlichen Tendenzen in den erzieherischen Anstrengungen Leopold Mozarts hin: „Er sieht als gläubiger Katholik in dem Talent seines Sohnes natürlich eine ‚Gabe Gottes’. Aber wie mit so einer Gabe umzugehen ist, liegt seines Erachtens nach voll und ganz in der Verantwortung des Menschen.“ Das keimende Bewusstsein für die Verantwortung des Menschen gegenüber seiner Umwelt stellt Mitte des 18. Jahrhunderts ein Problem für Adel und Klerus dar, die Raubau an den niederen Ständen betreiben. Leopold Mozart bewundert, noch zwanzig Jahre vor der französischen Revolution, in einem Brief aus London die politisch fortschrittliche Metropole Englands: „Das ist gut hier, dass so viel 1000 ehrliche Leute (…), die eigentlich den Staat ausmachen, (...) nicht gezwungen sind, wegen etlichen 100 zu leiden.“

Leopold Mozarts Portrait in seiner Violinschule

Natürlich muss er aus existenziellen Gründen eitel Sonnenschein vortäuschen – schließlich ist die herrschende Klasse die einzig zahlende für einen Musiker von Rang. Daher scheint er die Tendenzen der Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung auf seine Kinder, besonders seinen Sohn zu konzentrieren. Dabei macht er den einen großen Fehler, den er als Vater machen muss: Er lässt Wolfgang nicht los. Leopold hat sich eine Mündigkeit im eigenen Leben bitter erkämpft. Indem er seinen Sohn, das Wunderkind zu lange behütet, verwehrt er ihm genau das: Selbstverantwortung und Selbstbestimmung. Zwar tragen die visionären Einstellungen des Vaters letztendlich zur Größe und Einzigartigkeit von Wolfgangs Musik bei. Verkaufen kann der Sohn sich jedoch nicht: Leutseligkeit, Naivität, Verantwortungslosigkeit wirft Leopold ihm in den späteren Briefen vor. „Auf Basis dieser Briefe haben die Historiker Leopold Mozarts Charakter rekonstruiert“, kritisiert Silke Leopold und fügt lächelnd hinzu: „Es geht zwar nicht, aber eigentlich müsste man versuchen, ein Buch über Leopold zu schreiben, in dem Wolfgang keine Rolle spielt.“

© privat
© Silke Leopold
© Jac. Andr. Fridrich, G. Eichler/wikimedia.commons


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