Von Konrad Bott, 08.04.2016

Licht und Liebe

Uraufführung, die Zweite: Nach seiner Matthäus-Passion (2014) hat sich der schwedische Komponist Sven-David Sandström jetzt dem Johannes-Evangelium zugewandt. Eine Kritik aus dem Konzerthaus Berlin.

Was haben Paul Celan, Rainer Maria Rilke und der Evangelist Johannes gemeinsam? Exakt – sie haben Texte verfasst. Obwohl diese sehr unterschiedlich sind, finden sie sich fragmentarisch mit Textauszügen vieler anderer Literaten in „The Passion of St John“ wieder. Der schwedische Komponist Sven-David Sandström hat sich, als „Composer in Residence“ des Mogens Dahl-Kammerchors, nach seiner Matthäus-Passion 2014 nun der Johannes-Passion gewidmet. Gemeinsam mit dem künstlerischen Berater des Vokalensembles, Jakob Holtze, verleiht er der Erzählung vom Leben und Sterben Jesu Christi als Sinnbild vom Ringen des Lichtes mit der Finsternis ein neues Gewand.

Dabei haben Sandström und Holtze sich, anders als Sandströms estnischer Kollege Arvo Pärt, textlich nicht auf die biblischen Verse eingeschossen. In die Erzählung Johannes` flechten sie bearbeitete Fragmente aus allen Ecken der Weltliteratur, die sinnbildlich oder atmosphärisch passen und dem Hörer eine zeitlose Bezugnahme zu den Zeilen des letzten Evangelisten ermöglichen. Sätze wie „Ich war nur ein ängstlicher Schatten in der Menge. Ein schuldiger Zuschauer“, „Der Schatten einer Jugend, die im Sterben lag, berührte meine Lippen, um zu singen“ oder „Ich verhüllte mein Angesicht; denn Liebe ist grausamer als der Tod“ lassen viel Spielraum zur Interpretation, helfen aber bei der Abstrahierung des Kerngedankens vom biblischen Handlungsstrang - wie das Licht nach langem Kampf gegen die Dunkelheit endlich siegt.

„Da war wieder ein origineller Einfall!“, freue ich mich und ertappe mich dabei, nach solchen Stellen mit wachsender Unruhe suchen zu müssen.

Zu dem Kammerchor unter Mogens Dahls Leitung gesellen sich die Gesangssolisten Daniel Carlsson (Countertenor) und Lars Møller (Bariton), das Streichquartett „Brooklyn Rider“ und der Tubist Jens Bjørn-Larsen – eine bunte und wie sich herausstellt wirklich hochkarätige Besetzung. Die nachdrücklichen Solo-Einsprengsel Larsens kommentieren den musikalischen Verlauf mit sonorer Klage. Die Wendigkeit Carlssons (in der Rolle des Johannes), und die bedächtig warme Intonation Møllers (in der Rolle Jesu) sprechen für sich. Das perfekte Timing und die stimmliche Sicherheit des Chors beeindrucken ebenso, wie die Flexibilität und spontane Gestaltungsfähigkeit der „Brooklyn Rider“. Da möchte man sagen: alles bestens! So intensiv und souverän die Leistung der Musiker jedoch ist – ein wirklich eigenes Profil zeigt die Musik leider nicht. „Da war wieder ein origineller Einfall!“, freue ich mich und ertappe mich dabei, nach solchen Stellen mit wachsender Unruhe suchen zu müssen. Zu sehr bilden die musikalischen Abschnitte eine Art Patchwork-Decke des bereits Gewesenen.

So entsteht ein „Clash of Styles“, der jazzige Farbtupfer gegen barocke Affektenlehre spritzt und gewagte harmonische Splitter auf ein romantisches Partiturenbollwerk prasseln lässt.

So entsteht ein „Clash of Styles“, der jazzige Farbtupfer gegen barocke Affektenlehre spritzt und gewagte harmonische Splitter auf ein romantisches Partiturenbollwerk prasseln lässt. Schumann grüßt aus den Streichern, Britten aus der Harmonik und die geerdeten, in ihrer Klarheit durchaus beeindruckenden Chorsätze könnte man unterm Strich auch als Brahms-Studien verkaufen. Dabei ist das Volksliedhafte, mit dem sich zu seiner Zeit eben auch Brahms intensiv auseinandersetzte, die glaubhafteste Basis, mit der Sandström arbeitet: Die in schwedischer Sprache gehaltenen Choräle sind in ihrer nüchternen Melodik eigensinnig und unanfechtbar. Rein handwerklich ist auch sonst nichts zu beanstanden: Alles ist von der ersten bis zur letzten Note durchdacht, die Verarbeitung des musikalischen Materials wirkt routiniert. Routine – ist sie vielleicht der Grund für das Ausbleiben des wirklich mitreißenden Stromes? Ob „The Passion of St John", wie es im –übrigens sehr informativen – Beiheft heißt, „eines der Werke ist, das beständig werden wird", ist fraglich.


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