Von Jesper Klein, 21.06.2018

Zur Messe in die Disco

Wie verkauft man Renaissance-Musik am besten? Klar: mit einem Cover, das einen Mann halbnackt in der Disco zeigt, inmitten von Laserstrahlen. Steckt mehr dahinter als der Schrei nach Aufmerksamkeit? Ein Deutungsversuch.

Was soll dieses Cover? Warum steht der Mann, dessen Identität wir nicht kennen, halbnackt im grellen Discolicht? Sollte er nicht besser, wie man es von der Kinoleinwand kennt, behände den Laserstrahlen ausweichen? Wer die neue CD des Vokalensembles mit dem klangvollen Namen „beauty farm“ in den Händen hält, für den wird die Musik erstmal zur Nebensache. Dabei hat sich das deutsch-belgische Vokalensemble, spezialisiert auf Werke aus der Frührenaissance, mit Pierre de la Rue einen interessanten Komponisten ausgesucht, dessen Messen zum vergessenen Repertoire zählen. Zum 500. Todestag des Komponisten – noch ein Jubilar neben Zimmermann, Debussy und Gounod! – werden sie von „beauty farm“ zum ersten Mal überhaupt aufgenommen.

Die Neugier ist also geweckt, sonst hätten wir die CD ja gar nicht erst bestellt. Aber es bleibt die einleitende Frage: Warum für die oft vernachlässigte Renaissance-Musik dieses fast obszöne Cover, das der Musik, um die es ja eigentlich geht, gleich den Stempel „unseriös“ aufdrückt? Egal, wir klappen auf. Und siehe da, der Blick ins Hülleninnere bringt eine große Überraschung mit sich. Das Booklet, weiße Schrift auf schwarzem Grund, ist wohltuend schlicht gehalten und bildet einen krassen Gegensatz zur knalligen Außenhülle. Als wollten die Gestalter sagen: Seht her, diese CD kann man doch ernst nehmen! Steckt hinter dem Cover also womöglich mehr als der branchenübliche Schrei nach größtmöglicher Aufmerksamkeit?

Frei vom Verbrechen der Venus

Laut seiner Grabinschrift war der Niederländer Pierre de la Rue „frei vom Verbrechen der Venus“. Dass das Model halbnackt abgelichtet wird, kann womöglich als bewusst akzentuierter Gegensatz verstanden werden. Zu einem keuschen Komponisten und Messvertonungen bildet nackte Haut eben einen denkbar großen Kontrast. Die Symbolik des Hintergrunds scheint auf ähnliche Weise zu funktionieren. Discolicht = modern. Hier ist offensichtlich die Idee, einen Gegensatz zur Alten Musik abzubilden.



Auch die Handhaltung des Mannes stellt uns vor ein Rätsel. Betet er? Spricht er den Segen? Ruft jemand aus dem Off „Hände hoch“? Der Stern, der sich um den Kopf des Mannes herum abzeichnet, legt eine religiöse Deutung nahe. Hier bleibt das Cover aber im Rätselhaften. Womöglich ist gerade das – die Verrätselung – der Deutungsschlüssel zu dieser abgedrehten Collage. Immerhin war Pierre de la Rue ein höchst rätselhafter Komponist, über seine Jugend ist fast nichts bekannt. Auch seine Messkompositionen geben Rätsel auf, zum Beispiel die „Missa Almana“, bei der nicht klar ist, auf was der Name überhaupt verweist. Wie auch für die drei anderen Messen der Einspielung gilt: Der Gesamtklang von „beauty farm“ ist nicht immer ausgewogen, die Intonation teilweise etwas wackelig. Auch Einsätze und Schlüsse sitzen nicht immer. Trotzdem werden einzelne Passagen, zum Beispiel der schöne melodische Einfall im Kyrie der „Missa de Sancto Antonio“, durchaus überzeugend gestaltet.

Ein Rätselcover zu einem rätselhaften Komponisten, ist das nun die Lösung? Wirklich zufriedenstellend ist das nicht, schließlich gibt es genügend rätselhafte Komponisten und, das zeigt diese Rubrik, mehr als genügend unerklärbare Cover. Wer sich weitere Cover von „Fra Bernardo“ und „beauty farm“ anschaut, dem geht allerdings ein Licht auf. Denn die Ästhetik des Scheußlichen wird hier mit größter Konsequenz betrieben. Also sollten wir in dieses Cover womöglich doch nicht zu viel hineininterpretieren. Freuen wir uns stattdessen einfach auf die nächsten kreativen Ausgeburten. Oder aber wir lassen gleich ganz die Finger davon.


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Pierre de la Rue

Messen

beauty farm: Bart Uvyn, Hannes Wagner, Hans Jörg Mammel, Joachim Höchbauer

Fra Bernardo/Note 1

© Patrick Savalle/flickr.com/(CC BY-SA 2.0)
© Cover: Muntean / Rosenblum


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