Von Konrad Bott, 29.04.2016

„I like very much this Chord!“

In einem kuriosen Interview spricht Igor Strawinski über „Le sacre du printemps“.

„When I was very very tired, I remember I slept very well!“ Igor Strawinski wäre genau die Sorte Facebook-Freund gewesen, bei der man aufgrund ihrer penetranten Status-Updates schnell mal auf „nicht mehr abonnieren“ klickt. Jedenfalls bekommt man diesen Eindruck bei dem ebenso kurios geführten wie geschnittenen Film-Fragment, in dem der Maestro wirkt, als sei er gerade aus einem Sanatorium entlaufen. Mit Nosferatu-Grinsen spricht er über sein wohl bekanntestes Werk: „Le sacre du printemps“. Ein Ballett, das bei seiner Uraufführung im Jahr 1913 in Paris zu Empörung, Entsetzen und handgreiflichen Auseinandersetzungen führte.



Der berühmte Impresario Sergei Djagilew, den Strawinski im Video erwähnt, hatte den Komponisten nach dem „Feuervogel“ und „Petruschka“ mit einer weiteren Ballettmusik für sein „Ballets Russes“ beauftragt. Diese Ballettgruppe war von Djagilew selbst, der mit seinen progressiven Ideen im zaristischen Russland auf Granit biss, unter der Prämisse gegründet worden, eine Einheit von Musik, darstellender und bildender Kunst zu fördern. An der Entstehung des Skandalstücks waren demnach außer Igor Strawinski maßgeblich der Bühnenbildner Nikolaj Roerich und der Choreograf Vaclav Nijnskij beteiligt. Diese ebenso hitzige wie fruchtbare Zusammenarbeit – Diagilew und Nijnskij pflegten zeitweilig eine Liebschaft – mündete in einer Uraufführung, deren Musik, Handlung und szenischer Ausarbeitung das Pariser Opernpublikum, obwohl fortschrittlich interessiert, ganz und gar nicht gewogen war.

Irgendwann in alter Zeit feiern fiktive slawische Volksstämme gemeinsam den Beginn des Frühlings mit einem Opferritual. Im ersten Teil der Zeremonie, der „Anbetung der Erde“, versammeln sich die Völker zu rituellen Kämpfen und Tänzen. Im anschließenden zweiten Teil, „das Opfer“, schließlich erscheint eine auserwählte Jungfrau, die sich vor den Augen der versammelten Stammesweisen um der Kraft des Frühlings willen zu Tode tanzen muss. Dabei wird ein eindrückliches Bild der Urtümlichkeit, der Kraft der Natur und, ja, auch der archaischen Rohheit der vorzeitlichen Szenerie vermittelt. Im Gegensatz zum „Feuervogel“ und zu „Petruschka“ wandte sich Strawinski bei „Le sacre du printemps“ einer verstärkt perkussiven Klangsprache zu. Die Bewegungen der Tänzer wurden von den seltsamen Rhythmisierungen gemäß der tranceartigen Kampftanz-Riten unterstützt. Die aufblitzenden Melodien, die der Komponist im Stück zum Teil in grotesker Art verarbeitete, stützen sich auf die Überlieferungen alter slawischer Volkslieder.

Von der Eigensinnigkeit des Stücks zeugen die Worte Pierre Monteux`, des Dirigent der Pariser Uraufführung, der nach Strawinskis Vorspiel des Klavierentwurfs notierte: „Mein Kopf schmerzte heftig und ich kam ein für allemal zu dem Schluss, dass die Sinfonien von Beethoven und Brahms die einzig richtige Musik für mich sei – und nicht die Musik dieses verrückten Russen. Ich muss gestehen, dass ich keine einzige Note von ‚Le sacre du printemps‘ verstand.“ Dennoch hielt er stoisch dirigierend die Stellung, trotz Pöbeleien, Zwischenrufen, Tumult und einem Strawinski, der sich mit den Worten „Schert euch zum Teufel!“ vom Publikum verabschiedete.

Im Spotify-Player könnt ihr euch das Stück von Igor Strawinski selbst dirigiert anhören:




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