Von Malte Hemmerich, 14.05.2016

Kennen Sie Wagner?

Wer pfeift sie nicht mal unbewusst vor sich hin, die heroische „Siegfried“-Dreiklangslinie. Aber was ist mit „Nibelungenhass“ und „Geschwisterliebe“? Im Netz werden die Leitmotive des Meisters auf ganz unterschliche Weise verwurstet und entstellt.

Im Jahre 1881 spielt Cosima Wagner Klavier. Sie spielt aus dem Klavierauszug des „Ring des Nibelungen“, dem Lebenswerk ihres Mannes Richard Wagner. Doch der Klavierauszug enthält nicht nur die Noten, sondern auch ausführliche Randnotizen eines gewissen Hans von Wolzogen. Ausführlich charakterisiert hat dieser darin die Leitmotive 106 im Ring, die sich Personen, Absichten und Dingen zuordnen lassen. „Richard sagt: am Ende glauben die Leute, daß solcher Unsinn auf meine Anregung geschieht!", notiert Cosima bald in ihr Tagebuch. Wagner wurde das übermäßige Spiel, ja beinah Puzzle, das mit seiner thematischen Arbeit getrieben wurde zuviel, Erinnerungsmotive, nun gut, aber statische Melodiefetzen aus dem Zusammenhang zu reißen und in ein Raster zu zwängen?

  1. Déjà vu? Na klar! Denn das ist das Prinzip: Leitmotive ziehen sich als wiedererkennbare musikalische Elemente durch ein Werk. Jedes steht jeweils für ein besonderes Gefühl, eine bestimmte Person – mal als markante Melodie, mal als einzelner Akkord. Wagner verwendete sie in seinen Opern so exzessiv, dass Kenner pausenlos Leitmotiv-Bingo spielen können. (AJ)

Wer Waldweben-, Weib- und Weltesche-Motiv trotz Blechbüchsensounds erkennt, bekommt keinen Preis, kann sich aber zumindest einen kleinen Halbwagnerianer nennen.

Somit hätte ihm wohl auch die „Richard-Wagner-Werkstatt“ nicht zugesagt.
Über hundert Leitmotive sind hier aufgelistet, auf einer Website, die, wenn man es positiv ausdrücken will, dem Retrolook frönt. Klickt man sich durch die Liste, erscheinen zum einen die Noten des Motivs, und eine bunte Farblegende gibt Auskunft, in welchen Tetralogieteilen denn das Motiv herumschwirrt.
Doch auch die Musik selbst ist zu hören, im schrägsten und schäbigsten Midi-Sound, den man sich überhaupt vorstellen kann. Spielwütige erwartet zusätzlich eine Quizfunktion: Wer Waldweben-, Weib- und Weltesche-Motiv trotz Blechbüchsensounds erkennt, bekommt keinen Preis, kann sich aber zumindest einen kleinen Halbwagnerianer nennen. Und beim nächsten Ringhören angeben. Wagner selbst hätte das Ganze wohl nicht unter seinen Favoriten gespeichert. Über diese Seite, auf der man sich eine eigene Tageslosung „kiesen“ kann, oder aber per Nachricht Wagner-CD Kaufberatung bekommt, müsste ein eigenes Kuriositätenkabinett verfasst werden.

Aber es geht immer noch besser!

Wer den Ringzyklus nicht ertragen kann, aber trotzdem mitreden möchte, kann sich auf Youtube auf die 2,5 Minuten-Version des Werks stürzen. Natürlich mit Leitmotiven. Und inklusive Walküren mit Wikingerhelmen. Die Verfasser des liebevoll animierten Spaßprodukts sind unbekannt.




    NIUSletter

    Bleibt auf dem Laufenden und erhaltet alle drei Wochen unseren NIUSletter.