Von Malte Hemmerich, 03.06.2016

Halden-Holländer

Das Ruhrgebiet nutzt seine Industrielandschaft erneut für ein Opern-Großprojekt. Als Ergebnis schwebt in Bottrop ein „Fliegender Holländer“ über die Halde Haniel, den ein paar gute Musikmomente und eine Inszenierung mit Trashfaktor retten. Für überregionale Strahlkraft reicht es dann aber doch nicht.

Tupperdosen, Wanderrucksack und Sonnencreme gehören zu den wichtigsten Utensilien der Opernbesucher, die an der Zeche Prosper in Bottrop in der Schlange stehen und auf den Bustransfer warten.
Zum zweiten Mal wird das Amphitheater oben auf der Halde zur Opernkulisse, nach einer „Aida“ im Kulturhauptstadtjahr 2010 nun der „Fliegende Holländer“ von Richard Wagner. Welcher ja zum Glück, so stellt man erleichtert unter den Wartenden fest, eine seiner kürzeren Opern sei.
Nachdem die Generalprobe für die Premiere wegen Starkregen ausfiel, strahlt jetzt die warme Abendsonne auf Gelegenheitskulturgänger, Eventbesucher und Musikinteressierte. Nach der spektakulären Auffahrt mischen sich oben, in der Mondlandschaftsoase mit Bierständen, Ruhrtriennalefeeling und Gemeindefeststimmung.

Zwei Containerhaufen bilden Schiffe am Rand der Arena, die Mitte ziert eine Kunstrasenidylle. Der Klang der Ouvertüre ist ungewohnt dumpf. Die Musiker der Neuen Philharmonie Westfalen sitzen am Rand auf einer Bühne, im Rücken der einen Besucherhälfte. Auch wenn der verstärkte Klang erst stört, so sind doch die einzelnen Instrumente gut herauszuhören, dynamische Feinheiten sind im Rahmen möglich, schraubt man seine Ansprüche etwas herunter. Anders die Abstimmung zwischen Orchester und Sängern, die immer wieder auf den Containern an der Seite herumturnen und über Bildschirme Kontakt mit dem Dirigenten Valtteri Rauhalammi halten. Hier läuft nicht immer alles zusammen, der Preis für das weitläufige Bühnenpanorama. Eklatante Aussetzer gibt es in den Chorszenen, die mitunter in Chaos ausarten. Hier sind dann auch die Grenzen der Verstärkertechnik erreicht. Mal dröhnt ein Tenor lauter aus den Boxen als der restliche Chor, mal tönt der Alt unangebracht präsent. Das Publikum feiert und klatscht munter in die Zwischenspiele.

Thomas Grandochs Inszenierung ist keine Neuerfindung des Stoffes, Senta und Holländer kämpfen bei ihm als Individuen gegen eine ausbeuterische, geldgeile Gesellschaft. Das ist nicht schlimm, denn Grandoch nutzt stattdessen clever die besonderen Möglichkeiten der Kulisse, viel passiert um die Zuhörer herum. Die Frauen in der norwegischen Kleinstadt sind aufziehbare It-Girls mit Mangaanleihen, während die Matrosen nach den Schätzen des Holländers gieren. All das im 360° Panorama.
Generell macht die zweite Hälfte, die auf der dunkel werdenden Halde stattfindet, mehr Eindruck. So leuchten unheimliche Geister aus dem Holländerschiff auf, scheinen die schmerzlichen Entscheidungen Sentas viel intimer und bedrückender.

Bastiaan Everink spielt den Holländer im „Jack-Sparrow-für-Arme“-Dress mit großer Stimme und düsterer Aura: Dagegen scheint die Feuerfontäne, die seinen ersten Monolog abschließt, geradezu harmlos. Auch Elisabeth Otzisks Senta hat eine wunderbare Höhe und schafft auch in leisen Open-Air-Momenten, Spannung zu halten. Während Almuth Herbst als Amme und Michael Tews als Daland solide singen, fällt Lars Rühl als Erik, der, natürlich, Bergmann ist, erst im dritten Akt positiv auf, Christian Sturm als Steuermann hat in den Höhen Probleme. Das musikalische Niveau wankt wie ein Schiff im Sturm. So kann der eigens gegründete Bottroper Projektchor nicht durchgehend überzeugen, auch wenn der spielerische Einsatz dies ein bisschen aufwiegt.
Generell ist der Bottroper „Holländer“ etwas für Opern-Einsteiger, mit lustigen Kostümen von klassisch bis trashig und klarer, mitunter etwas plumper Symbolik. Nicht zu vergessen ist der besondere Ort, der an diesem Abend viel rettet:
Denn wenn zu den letzten Tönen ein Mädchen, wohl die Inkarnation von Sentas befreitem Geist, in rot wallenden Gewändern über den Hügelkamm in der Ferne schreitet, angestrahlt wie in der dramatischen Endszene eines Hollywoodblockbusters, wird klar, dass sich der ganze Aufwand doch irgendwie gelohnt hat. Und sei es auch für solch kleine Momente.

© stadtbottrop


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