Von Ida Hermes, 29.05.2020

Rufmord, Totschlag!!1!

Im Kulturbetrieb ist mal wieder alles erlaubt. Die niusic-Kolumne.

Es gilt schon in der Schule: abschreiben, die Ideen anderer als die eigenen ausgeben, plagiieren, flunkern – alles nicht okay, alles verboten. Im Kulturbetrieb hingegen scheint wieder alles erlaubt zu sein. Erst in der vergangenen Woche gab es wilde Diskussionen. Es geht um die Inszenierung von Ludwig van Beethovens „Fidelio“ am Theater an der Wien, unter Christoph Waltz, dem berühmten Hollywood-Schauspieler und Regisseur, die in einer Streaming-Version am Ostermontag veröffentlicht wurde. Nun meldete sich der Journalist Axel Brüggemann beim Musikmagazin CRESCENDO mit einer Recherche zum Bühnenbild zu Wort, und äußerte den schrecklichen Verdacht: Das kenne ich doch schon!

Die beeindruckende Doppelhelixtreppe, für die Oper gestaltet vom US-deutschen Architekturbüro Barkow Leibinger, soll ein Plagiat sein. Denn sie gleicht auffallend einer Studie für eine Bibliothek des US-Architekten Khoa Vu aus dem Jahr 2013 – die natürlich sehr viel größer ist, doch finden sich mehrere Perspektiven, auf denen die Ähnlichkeiten deutlich zu erkennen sind. Brüggemann holte also Stellungnahmen ein: Khoa Vu zeigte sich entrüstet, Barkow Leibinger wiesen die Vorwürfe zurück, schließen aber nicht aus, Vus Entwurf gekannt zu haben. „Allerdings können wir auch sagen, dass das Bild im Entstehungsprozess des Bühnenbildentwurfs keine weitere Rolle gespielt hat“, so die Stellungnahme.

Was für ein gigantischer Unsinn. Fotos gibt es online genug und die Konzepte ähneln sich so frappant, dass sie aus einigen Perspektiven gar identisch scheinen. Das müsste ja schon ein gigantischer Zufall sein, wenn diese unterschiedlichen Künstler:innen innerhalb weniger Jahre auf die exakt gleiche Idee kommen, und wie gesagt: Barkow Leibinger räumen ein, Khoa Vus Entwurf gekannt zu haben. Wie sollte er also „im Entstehungsprozess“ keine Rolle gespielt haben? § 24 UrhG zur „Freien Bearbeitung“ sagt dazu:

„Ein selbstständiges Werk, das in freier Benutzung des Werkes eines anderen geschaffen worden ist, darf ohne Zustimmung des Urhebers des benutzten Werkes veröffentlicht und verwertet werden.“

§ 24 UrhG, Abs. 1

Stichwort ist hier die „freie Benutzung“, die tatsächlich ohne Zustimmung gilt, für die aber die Selbstständigkeit des eigenen Werkes Voraussetzung ist (§ 2 UrhG), eine „hinreichende Schöpfungshöhe“ verlangt, also: Der Entwurf muss als eigenständiges Werk erkennbar sein und darf sich nur in Maßen bei den Werken anderer bedienen. Das ist bei dem Treppenentwurf augenscheinlich nicht der Fall. Und Plagiat bleibt eben Plagiat, auch wenn man vergisst, welche die eigenen Ideen sind und welche nicht – abschließend muss natürlich vor Gericht ein Urteil über die Sache gefällt werden.

Man kann Künstler:innen schon abverlangen, sich mit den Spielregeln der eigenen Branche auseinanderzusetzen.

So oder so: Geltendes Recht zu befolgen scheint im Kulturbetrieb ein Problem zu sein, das sich so leicht nicht lösen lässt. Wohlgemerkt handelt es sich tatsächlich um eine der grauesten Grauzonen überhaupt, doch kann man schon sagen, dass das Ganze mit dieser oft uneindeutigen Rechtslage eher wenig zu tun hat. Meist scheitert es schon auf einer weit grundlegenderen Ebene: Nämlich daran, dass jede und jeder ein eigenes Süppchen kocht und von der eigentlichen Rechtslage gar keine Ahnung hat. So wollen Intendanten ihren Zitaten dann unbedingt den makellos eloquenten Kunstschliff verpassen, Musikerinnen pochen auf das Recht, mit vollständigen Biografie-Angaben in Info-Kästen zu erscheinen, Regie-Teams möchten am liebsten ganze Interviews umschreiben und empören sich darüber, dass Journalist:innen sich dann lieber doch nicht zensieren lassen möchten. So viel zu einigen alltäglichen Problemen der Musik-Medienbranche.

Schön wäre doch, wenn das alles ein bisschen respektvoller zugehen würde. Ja, auch Künstler:innen kann man abverlangen, sich mit den Spielregeln der eigenen Branche auseinanderzusetzen, offen mit Inspirationsquellen umzugehen, zu sich, zu ihrem Werk und zum Werk anderer zu stehen – von Student:innen und Journalist:innen erwartet man genau das schließlich auch. Da ist keine Metaphysik im Spiel und kein Pinselstrich zwischen zwei Punkten im Raum, es ist vollkommen weltlich und menschlich – genau wie jeder Künstler und jede Künstlerin. Schluss mit dem Genie-Kult.

© APA / Monika Rittershaus
© Khoa Vu


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