Von Hannah Schmidt, 01.09.2018

Symbolfigur eines Dilemmas

Wegen programmatischer Entscheidungen bei der RuhrTriennale und dem Musikfestival in Donaueschingen sind Diskussionen über „Kunstfreiheit“ entbrannt. Unterläuft den aufgeregten Fahnenschwenkern dabei nicht ein simpler Kategorienfehler?

Dass ein Großteil der Besucher die Veranstaltung frustriert und mit enttäuschten Erwartungen verlassen würde, davor hatte Norbert Lammert ja zum Glück vorher schon gewarnt an diesem Augustnachmittag, als sich über 400 Menschen bei der RuhrTriennale-Diskussion zum Thema Kunstfreiheit in den Stuhlreihen drängten. „Wir werden hier in 90 Minuten nicht den Nahen Osten befrieden“, sagte er zu Beginn auf seine saloppe Art, „aber wir können zeigen, dass man über dieses Thema in einem vernünftigen Ton sprechen kann.“ Zumindest für die Teilnehmer:innen auf dem Podium – neben der Intendantin Stefanie Carp waren das die NRW-Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen, der ehemalige Kulturminister von NRW Michael Vesper sowie Künstler und Dramaturgen, die selbst zum Programm der RuhrTriennale beitragen – galt das tatsächlich. Was sich hingegen im Zuschauerraum zutrug, das war mitunter gruseliges Zeugnis einer Debattenkultur, die kurz davor war zu entgleisen.

Kurzer Rückblick

„Ich habe die Young Fathers eingeladen, weil sie das Thema Rassismus behandeln.“

Stefanie Carp

Nun war die Gruppe auf dem Podium ja aber nicht dazu zusammengekommen, um über einen Konflikt zu debattieren, in den sich einzumischen dem Kopfsprung in einen Abflusshäcksler gleichkäme – in einen Begriffs-Häcksler, Namens-Häcksler, Interessens-Häcksler. Es ging darum, was Kunst darf und was nicht – beziehungsweise: was ein Mensch darf und nicht darf, der beruflich Künstler:in ist. Die Gruppe „Young Fathers“, sagte beispielsweise Schorsch Kamerun, habe „diese Kampagne im Gepäck“, und wo immer sie auftrete, wisse man, die „Young Fathers“ seien im Sinne des BDS unterwegs, gar von ihm instrumentalisiert. In ihren Texten merkt man davon jedoch nichts: „Ich habe sie eingeladen, weil sie das Thema Rassismus behandeln“, sagte Stefanie Carp. Von dem BDS habe sie „ehrlich gesagt vorher noch nie etwas gehört“ – Grölen, Buhrufe, höhnisches Gelächter im Publikum.

Wie definiert man die Freiheit der Kunst?

Die Begriffe „Freiheit“, „Kunst“ und „Kunstfreiheit“ sind auch in der Debatte um angebliche „Zensur“ in Donaueschingen zentral, wo Björn Gottstein eine Oper, die „ausgerechnet“ den Staat Israel „massiv kritisiert“, nicht ins Programm nehmen wollte. Doch wie definiert man die Freiheit der Kunst? Meint „Kunstfreiheit“ die Freiheit eines Künstler-Menschen außerhalb seiner Kunst? Oder ist „Kunstfreiheit“ die Freiheit der Kunst und ihrer Darstellungsmittel – und damit unabhängig von der Künstler:in, wenn man Mensch und Künstler:in überhaupt voneinander trennen kann? Ein konkretes Beispiel: Wäre die körperliche Verletzung eines anderen Menschen gegen seinen Willen durch die Freiheit künstlerischer Mittel geschützt? Eher nicht. Und der Aufruf zum Boykott des Staates Israel?

Nun, die Menschen vor der Jahrhunderthalle mit ihren „Boykott“-Schildern wären dafür zu Unrecht verknackt worden. Und natürlich darf auch die Kunst „Boykott“-Schilder hochhalten, unter den gleichen Regeln wie Nicht-Künstler:innen. Schwierig wird es jedoch in dem Moment, in dem ein:e Veranstalter:in einer Kunst oder einem:r Künstler:in eine große Öffentlichkeit beschert, denn da beginnt ihr potenzieller politischer Einfluss.
Man begeht jedoch den Fehler zu glauben, das Festival mache sich die Meinung der Künstler:innen zu eigen, indem es ihre Kunst zeigt, oder es beschneide die Freiheit der Kunst und ihrer Mittel, wenn es eine:n Künstler:in nicht einlädt. Das ist ein klassischer Kategorienfehler. Die Freiheit von Kunst bedeutet eben nicht gleichzeitig ein Recht auf durch Andere hergestellte große Öffentlichkeit, erst recht nicht in einem Jahrhundert, in dem jede:r auch ohne ein Festival wie die RuhrTriennale eine große Öffentlichkeit erreichen kann.

Die Freiheit von Kunst bedeutet nicht gleichzeitig ein Recht auf Öffentlichkeit durch Andere.

Dass man das Kunstwerk von dem:r Künstler:in sehr wohl trennen kann und das auch ständig tut, zeigen bekannte Beispiele: Richard Strauss beispielsweise sympathisierte mit dem NS-Regime – dennoch ist der „Rosenkavalier“ nicht faschistisch. Und wer diese Musik programmiert, ist deshalb kein Nazi – es sei denn, er fährt auch sonst eine deutliche Agenda in diese Richtung. Kunst zu missbrauchen, war schon immer möglich.

Eine Band wie die „Young Fathers“ kann sowohl anti-Israel-politisch auf einer BDS-Demonstration auftreten wie auch kürzlich bei den Münchner Kammerspielen mit ihren antirassistischen Texten „im Dienst einer sozialkritischen Narration, die vom alltäglichen Rassismus handelt“. Dass das möglich ist, ist schwer auszuhalten. Aber darin besteht Kunst eben auch: in der gleichzeitigen Existenz von Widersprüchen. Ein:e Intendant:in oder ein:e Veranstalter:in müssen sich einfach nur bewusst sein, ob sie ihrem Publikum diese Leistung zutrauen wollen, einerseits, und andererseits, ob sie glaubwürdig verklickern können, wen oder was sie da eingeladen haben und aus welchem Grund.

Stefanie Carps Hin und Her des Ein- und Aus- und wieder Einladens der Gruppe verrät, dass sie erst hektisch nach einer Position zu suchen begann, als der Casus bereits ins Rollen kam. Überdeutlich brachte ihr Verhalten die dilemmatische Situation zum Ausdruck, in der sich Festivals, Veranstalter und Häuser befinden, wenn sie versuchen, schicke, relevante, politische Kunst zu machen, dabei aber im Grunde ahnungslos in den Klammergriff internationaler politischer Konflikte stolpern.

Aber darin besteht Kunst eben auch: in der gleichzeitigen Existenz von Widersprüchen.

So angespannt und erschöpft Frau Carp auf dem Podium auch schien – die verbalen Angriffe aus dem Publikum schienen ihr nahe zu gehen –, sie wirkte zugleich wie eine Symbolfigur. Da saß eine Frau, die ihren Namen und ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel gesetzt hatte und damit alle im Raum Anwesenden mit der Nase auf diese eine Unzulänglichkeit stieß: Recht haben zu wollen ist ein Irrtum, politisch und gesellschaftlich. Und erst recht in der Kunst.

© BruceEmmerling/pixabay/CC0
© Daniel Sadrowski/Ruhrtriennale 2018


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