Auf der Pirsch in der Nachbarschaft, das Smartphone im Anschlag, die Kamera klickbereit. Bunte Blumen und wogende Gräser säumen den Straßenrand, zwitschernde Vögel tummeln sich auf dem Bildschirm. In seiner Mitte: eine goldene Kugel. Doch kein wildes Knuddeluff wird von ihr getroffen, kein Glurak eingefangen werden. Stattdessen erklingt Musik, ein Violinschlüssel schwebt über den Bildschirm, Notenlinien weisen ihm den Weg. Dies ist nicht Pokémon GO. Dies ist das neue Beethoven-Spiel von WDR3.
In seinem Jubeljahr sollte der Jubiläumskomponist eigentlich weltweit an fast jeder Straßenecke anzutreffen sein. Doch die Corona-Pandemie kam dazwischen, alle Veranstaltungen wurden abgesagt – zum Glück hatte es Beethoven zuvor noch in die erweiterte Realität geschafft! Die Augmented-Reality-App Beethoven – Folge der Musik soll Leben und Werk des Künstlers spielerisch erlebbar machen. Ähnlich wie bei Pokémon GO wird in dem Spiel die Vorderkamera des Smartphones benutzt. Der Spieler sieht seine reale Umgebung, soll den Boden scannen, dann erscheint ein Notenpult auf dem Bildschirm. Ein Tap darauf, die goldene Kugel erscheint und die Musik beginnt. Level 1: „Für Elise“, das wohl bekannteste Klavierstück der Welt. Die Spieler:innen folgen der Musik mit ihrem Smartphone. Eine Drehung im Uhrzeigersinn zu kreisenden Halbtonschritten, bei aufwärtsführenden Tonfolgen steigt auch der Notenschlüssel empor. Das Handy wird zum Dirigierstab.
Davon ausgehend, dass das Spiel auch von Leuten gespielt würde, die nicht allzu vertraut sind mit Beethovens Werk, setzte Mit-Entwickler Wolfram Kähler auf eine Auswahl an Stücken, die auch niedrigschwellig funktionieren. Ihm gefällt die Idee, dass die Benutzer:innen zunächst den Spielaspekt entgegennehmen, um dann indirekt in Kontakt mit der Musik zu kommen. Wer das Spiel mehrmals spiele und eine hohe Punktzahl erreiche, der könne die Stücke schließlich auf der Straße pfeifen. Die Umgebungen sind durchaus liebevoll gestaltet, die Texte humorvoll. Für Beethoven-Kenner:innen ist die App damit zwar ein netter, aber höchstens kurzweiliger Zeitvertreib.
Denn nur fünf Level hält das Spiel bereit. Jedem ist ein anderes Beethoven-Stück, eine andere Umgebung zugeordnet. Die „Mondscheinsonate“ entführt die Spieler:innen an einen idyllischen See, Frösche quaken, Seerosen und Schilfgras zieren den Bildschirm. In der „Sturmsonate“ wird es schon etwas rasanter, der Notenschlüssel wirbelt durch eine Unterwasserwelt mit bunten Korallen und schillernden Fischschwärmen. Am Ende jeden Levels erscheint in der Umgebung eine Schatulle mit einem Manuskript, welches Informationen zu dem jeweiligen Stück liefert.
Informationen, die an anderer Stelle sinnvoll eingesetzt werden können. In der Schule beispielsweise. Auf der Homepage zur Website finden Lehrer:innen denn auch einen Link zur Plattform schule digital, auf der Unterrichtsvorschläge und -material zur Beethoven-App zur Verfügung stehen. Eigene Bewegungsabläufe entwickeln, einen Beethoven-Steckbrief ausfüllen, passende Bilder malen: Motiviert durch die spielerische Arbeit mit der App sollen Schüler:innen der fünften und sechsten Klasse in Beethovens Klangwelt eintauchen.
Ludwig van Beethovens legendäre Neunte. Ein wahres Mammutprojekt. Der Herr der Ringe unter den damals bekannten Sinfonien: Überlänge, großes Orchester, vier Sänger*innen und Chor.
Level 5: Ein Infotext liefert Wissenswertes zu Opus 125
Augmented Reality – eine neue Form der Musikvermittlung? In Zeiten von Schulschließungen und Unterrichtsausfall sicherlich eine Chance. Wegen der Corona-Krise sind viele dazu angehalten, zu Hause zu bleiben. Das trifft auch die Spieler:innen von Pokémon GO. Das Spiel ist eigentlich darauf ausgelegt, draußen herumzulaufen und lässt sich zu Hause nur bedingt spielen. Im Gegensatz zum Beethoven-Game. Das geht auch auf der Terrasse, der Garagenauffahrt oder im Garten. Den Eltern im Home Office kommt das gelegen: Einmal mit den Worten „Pokémon“ und „Smartphone“ geködert, sind die Kinder mit ihren Telefonen beschäftigt, lernen dabei sogar noch etwas und sollte mal schlechtes Wetter sein, kann sich die Familie gemeinsam zum Musikhören auf die Couch lümmeln. Die Stücke aus der App, allesamt Produktionen aus eigenem Hause, gibt es nämlich zum Nachhören in voller Länge auf der Website des WDR.
Und hier gehts zum Spiel
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