#stayarthome

In Zeiten von Ausgangssperren und Kontaktverboten müssen Künstlerinnen und Künstler neue Wege finden, die Menschen zu erreichen. Die niusic-Themenreihe zur Corona-Pandemie.

Von Hannah Schmidt, 25.03.2020

Keine Gnade

Etliche abgesagte Konzerte, ausgefallene Festivals und geschlossene Konzerthäuser haben arge Auswirkungen auf die Kulturbranche. Davon betroffen ist auch Isang Enders. Mit niusic teilt er, was er über die Situation denkt.

niusic: Von den vielen Konzertabsagen bist du als freischaffender und viel reisender Cellist auch stark betroffen – wie geht es dir gerade?

Isang Enders: Noch geht es uns ganz gut, aber ich spüre mehr und mehr die ganzen Auswirkungen drumherum, wie sich auch mein eigenes Mindset ändert. Grundsätzlich bin ich gegen Panik, egal um was es geht, und bin eigentlich ein pragmatischer, gelassener Mensch, manchmal fast lapidar – doch jetzt spüre ich, welche Konsequenzen gerade auf uns als Musiker:innen zukommen.

#stayarthome

In Zeiten von Ausgangssperren und Kontaktverboten müssen Künstlerinnen und Künstler neue Wege finden, die Menschen zu erreichen. Die niusic-Themenreihe zur Corona-Pandemie.

niusic: Welche sind das in deinem Fall?

Enders: Das fing schon vor ein paar Wochen an, da sollte ich in Chengdu in der Sichuan-Provinz ein Konzert spielen, was abgesagt wurde, danach hatte ich eins in Italien. Auf dem Rückweg kam die Nachricht, dass Norditalien zugemacht wird – ich fliehe also sozusagen vor dem Virus. Jetzt ist es auch in Deutschland angekommen, Ende des Monats und im April hätte ich sehr viele Konzerte gespielt, die jetzt alle abgesagt wurden.

„Es ist tatsächlich viel krasser, als man denkt“

niusic: Viele Freischaffenden sind dadurch existenziell bedroht. Ist es bei dir besser?

Enders: Meine Frau hat eine feste Stelle, zum Glück, und müsste eigentlich jetzt aus der Elternzeit zurückkehren, was nun nicht geht. Sie kann aber mit ihrem Gehalt das abfedern, was bei mir erst einmal fehlt. Es ist aber tatsächlich viel krasser, als man denkt: Wenn man an private Veranstalter oder Agenturen denkt, die sind nach einer Woche ruiniert. Die ganzen Gehaltsausfälle kann man gar nicht kalkulieren, für viele Orchester und Dirigent:innen ist das Hauptgeschäft die Tour. Da gibt es echt keine Gnade, weil es ein globales Geschäft ist.

niusic: Die Maßnahmen mit ihrem Ziel der Eindämmung des Virus sind ja aber total sinnvoll – es ist echt ein Dilemma.

Enders: Total! Die Konzerte ausfallen zu lassen ist letztendlich, um mit Merkel zu sprechen, ein solidarischer Akt. Unser Publikum ist eben komplett Risikogruppe, da laufen wir große Gefahr, dass sich diese vielen Menschen mit dem Virus anstecken und am Ende schwere Verläufe haben.

„Es ist zu oft passiert, dass nichts kommt. Wir haben eben keine wirkliche Lobby, wir sind zu wenige.“

niusic: Die Bundesregierung will Freischaffende jetzt mit Kurzarbeit, Steuerstundungen und Geld unterstützen. Was denkst du darüber?

Enders: Unter den Leuten, mit denen ich gesprochen habe, ist die einhellige Meinung, dass es an sich eine gute Idee ist. Wir wissen aber alle, wenn wir das jetzt aufsummieren würden, wird es trotzdem wahrscheinlich sehr knapp – schon jetzt rechnen viele ja mit sehr spitzem Bleistift. Der DAX ist unter 10.000 Punkte gerutscht, so ein großer Teil seines Wertes ist da verbrannt, das sind unvorstellbare Summen – so viele Nullen kann man gar nicht zählen. Da wäre die Hilfe für Künstler:innen im Vergleich nichts, Peanuts. Da denkt man, das muss möglich sein – aber wir glauben es erst, wenn es passiert. Es ist zu oft passiert, dass nichts kommt. Wir haben eben keine wirkliche Lobby, wir sind zu wenige.

niusic: Es gab relativ schnell Aufrufe an die Konzertbesucher:innen, ihre Tickets nicht zurück zu geben. Würde das etwas helfen?

Enders: Da kann man drüber streiten, aber man muss bedenken, dass das Unternehmen sehr wahrscheinlich ruiniert ist, wenn alle ihr Geld zurück haben wollen. Fakt ist: Das Konzert ausfallen zu lassen ist eine Riesenentbehrung für den Künstler, die viel höher ist als der Ticketpreis, der bezahlt wurde.

niusic: Manche Konzerte sollen nun nach hinten verlegt und später gespielt werden. Ist das aus deiner Sicht realistisch?

Enders: Nein, tatsächlich nicht. Es dauert mindestens eineinhalb, zwei, manchmal drei Jahre, bis so ein Konzert tatsächlich stattfindet – von der Idee bis zum Auftritt. Wenn jetzt ein Konzert abgesagt wird, kommt es in die Pipeline mit allen anderen Konzerten zusammen, mit der Hoffnung, dass irgendwann ein Slot kommt, zu dem alle Zeit haben. Das ist sehr unwahrscheinlich. Ich bin mir sicher, der allergrößte Teil der jetzt abgesagten Konzerte ist tot.

„Vielleicht wird es in Zukunft einen Zustand vor und einen nach dem Coronavirus geben“

niusic: Wir merken jetzt alle, wie groß die Lücke ist, die die ganzen Veranstaltungsabsagen reißen. Was macht der Verzicht auf Kultur mit der Gesellschaft?

Enders: Ich denke, vielen wird die Erkenntnis kommen, dass es gar keine Selbstverständlichkeit ist, dass man immer alles zur Verfügung hat, dass alles „on demand“ da ist. Das ist ein absoluter Ausnahmezustand der Geschichte, den wir jetzt seit einer, zwei Generationen haben, und uns ist das gar nicht bewusst. Vielleicht wird es in Zukunft einen Zustand vor und einen nach dem Coronavirus geben, später wird man es vielleicht als einen Einschnitt sehen wie den 11. September. So hat jedes Jahrzehnt sein Armageddon.

niusic: Das klingt krass. Also glaubst du, die Auswirkungen sind noch viel schwerwiegender?

Enders: Ja. So gesehen hat China bis jetzt einen großen Gewinn dadurch gehabt, dass in Hongkong nicht weiter protestiert werden kann, auch Chile und so weiter. Am Ende vielleicht auch Trump, wenn der amerikanische Wahlkampf mit seinen ganzen Rallyes gebremst wird. Jede Form von Demokratie lebt von der Massenversammlung, und das Virus hat bis jetzt eigentlich nur bewirkt, dass jede Form von Verbrüderung nicht mehr möglich ist. Du willst dich solidarisieren, und es wird dir als Unsolidarität ausgelegt. Dieses Virus ist eigentlich ein grundantidemokratisches Teil.

„Jetzt wo all das wegbricht, merken wir, wie fragil das ganze Konstrukt ist, in dem wir leben.“

niusic: So habe ich es auch noch nicht betrachtet. Denn die extreme Entschleunigung hat ja auch was für sich – der Canal Grande ist weniger verdreckt, die Leute fliegen und reisen weniger, die Luftwerte verbessern sich …

Enders: Der Zustand ist schon auch interessant. Es kann tatsächlich auch sein, dass sich alles resettet. Die Ruhe zwingt dich, dich mit dir selbst zu beschäftigen. Viele dieser ganzen Rausgeh-Aktionen im Alltag sind ja auch Ablenkungsmanöver. Ich hoffe, dass wir erkennen werden, wie wichtig es ist, Ruhephasen zu haben.

niusic: Noch haben wir den Sonntag …

Enders: Aber andere Länder haben ihn nicht, in Asien ist sieben Tage die Woche alles geöffnet. Die Selbstverständlichkeit von totaler Verfügbarkeit ist am Ende auch ein Grund, warum alles den Bach runter geht – das Klima leidet total darunter. Jetzt wo all das wegbricht, merken wir, wie fragil das ganze Konstrukt ist, in dem wir leben.

© Enders


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