Auf der Piazza Maggiore ist es brüllend heiß. Die Mittagssonne brennt auf die Steinböden und roten Dächer Bolognas, verwandelt die Stadt in einen brennenden Hochofen, durch den sich die Hitzewellen schieben und wälzen, und niemals entweichen. Alle haben es eilig. Autos hupen, Reifen quietschen, Fußgänger laufen kreuz und quer über die Straßen, fliehen in den Schatten der Häuser und Arkadengänge. Nur vorne an der Ecke halten sie inne, vor dem Palazzo Comunale, dem großen Stadtverwaltungsgebäude an dem großen Platz, ertragen für einen Moment die sengende Sonne. Hier, an der Ecke, dicht im Schatten der hohen Mauern, spielt Alessandro Baro. Die Gitarre flach auf den Knien, ganz in sich gekehrt.
niusic: Du spielst in den Straßen von Bologna. Was reizt Dich daran?
Alessandro Baro: Die Straße ist einer der schönsten Orte für Musikerinnen und Musiker. Für die Kunst allgemein. Denn alles geschieht aus dem Augenblick heraus: Die Menschen wissen nicht, wer man ist, sie sind auf dem Weg zu wichtigeren Orten. Wenn sie trotzdem innehalten, stehenbleiben für einen Moment, dann ist das immer besonders. Ganz anders als in einer Bar – da hört niemand richtig zu.
niusic: Gibt es Regeln, an die Du Dich halten musst?
Baro: Ja, jede Stadt in Italien hat ihre eigenen Regeln. Ich komme aus der Nähe von Ancona, dort durfte man damals nur die alten italienischen Schnulzen spielen. Hier in Bologna gibt es solche Vorschriften nicht. Ort und Zeit sind aber schon geregelt. Gerade mit Verstärker darf man sich nicht überall hinstellen, man muss sich an Zeitfenster halten und vorher anmelden, das dauert fünf Minuten beim Amt. Allerdings wurden zum 2. Juli die Regeln geändert. Man soll jetzt einer Kommission vorspielen, und es gibt weniger Plätze.
niusic: Warum denn das?
Baro: Es spielen einfach zu viele Leute auf der Straße, die es nicht ernst meinen mit der Musik. Die einfach nur klimpern oder rumlärmen wollen, kitschige Chart-Songs oder verhunzte Beethoven-Sonaten, und die Aufmerksamkeit genießen. Da sagt die Stadt zurecht, dass das zu viel Lärm ist. Mich macht das sehr wütend. Diese Leute nehmen keine Rücksicht auf die Musiker:innen, die es ernst meinen, deren Herz daran hängt. Und die damit doch zum Ambiente der Stadt beitragen!
niusic: Du spielst vor allem eigene Songs, coverst aber auch berühmte Lieder. Funktioniert Populäres denn besser?
Baro: Es macht natürlich etwas aus, ob die Menschen ein Lied erkennen oder nicht, dann bleiben sie eher stehen, ob man gut spielt oder nicht. So ist das eben. Aber klar beantworten kann ich das trotzdem nicht, denn so richtig populäre Musik spiele ich eigentlich nie. Und das Publikum ist ja immer ein anderes, die Tageszeiten sind unterschiedlich, die Situation, manchmal bin ich glücklich, manchmal sehr in mich gekehrt. Das alles spielt eine Rolle dabei.
niusic: Was macht Deine Musik besonders?
Baro: Oh, ich spreche nicht gerne über meine Musik. Ich nehme sie ja nie als Außenstehender war. Mir geht es vor allem um Authentizität, ich möchte mich selbst ausdrücken, mich nicht verstellen.
niusic: Ich finde Deine Arrangements besonders. Du nutzt deine Gitarre zum Beispiel oft als Rhythmusinstrument, experimentierst mit ungewöhnlichen Spieltechniken.
Baro: Danke … Ich denke da gar nicht so sehr drüber nach.
niusic: Du denkst nicht darüber nach, wenn Du komponierst und arrangierst?
Baro: Nicht wirklich … Es entsteht alles immer in einem, Stückchen für Stückchen. Ich singe eine Melodie, die mir gerade in den Sinn kommt, manchmal einen Song, der mir gefällt, manchmal auch völligen Blödsinn. Dabei begleite ich mich und schaue, was kommt. Wenn ich mit anderen Musiker:innen zusammenspiele, funktioniert das auch so: Wir improvisieren so lange, bis sich etwas herauskristallisiert.
niusic: Nimmst Du noch Unterricht?
Baro: Nicht mehr, nein. Ich bin ich der Meinung, dass man eigentlich von jedem Menschen etwas über Musik lernen kann. Musik ist für mich eine Art zu leben. Es geht nicht darum, perfekt zu sein, sondern um besondere Momente, dass man voll da ist, und um Authentizität.
niusic: Denkst du darüber nach, ob es den Leuten gefällt, was Du spielst?
Baro: Das ist mir meistens völlig egal.
niusic: Kannst Du von dem Geld leben, das Du verdienst?
Baro: Gute Frage ... Ja, aber von Straßenmusik allein natürlich nicht. Ich habe eine Band, mit der ich manchmal in Bars auftrete, und verschiedene andere Projekte mit Musikerinnen und Musikern hier in Bologna. Das ergibt sich alles sehr spontan. Es reicht jedenfalls immer für den nächsten Monat.
niusic: Einen Nebenjob hast Du nicht, um Dich abzusichern?
Baro: Nein. Ich möchte keinen anderen Job. Ich bin ja noch jung und brauche nicht viel. Viel wichtiger als Geld ist für mich, das tun zu können, was mich erfüllt.
niusic: Denkst Du manchmal an Karriereplanung?
Baro: Ich fühle mich immer sehr unwohl, wenn ich mich selbst vermarkten muss … Aber ich habe großes Glück, ich bekomme oft Hilfe, wenn ich gar nicht damit rechne. Zum Beispiel habe ich jetzt einen kleinen Vertrag mit einem Label hier vor Ort, dort kann ich bald ein Album aufnehmen! Ich habe das einem Freund zu verdanken: Er hat mich spielen gehört, angesprochen und gefragt, ob ich einen Manager habe. Natürlich hatte ich keinen Manager! Seitdem kümmert er sich um organisatorische Dinge, und er hat mir eine wahnsinnig tolle Gitarre geschenkt und einen Verstärker! Ich hätte nie geglaubt, dass jemand so uneigennützig und hilfsbereit sein kann. Er ist wie ein Schutzengel.
niusic: Die Straße ist für Dich also ein Karrieresprungbrett.
Baro: Sie ist auf jeden Fall ein toller Ort, um von Menschen gesehen zu werden, denen man sonst nie begegnet wäre. Es ist auch etwas, das ich im Moment auf keinen Fall aufgeben würde. Ich möchte an verschiedenen Orten spielen, mich weiterentwickeln. Und dann schaue ich mal, was kommt.
Alessandro Baro (*1993) reist seit sechs Jahren als Straßenmusiker durch die Städte Europas. Angefangen hat er in Irland, vor drei Jahren ist er nach Italien zurückgekehrt, um sich als italienischsprachiger Künstler zu etablieren. Vorbilder für seine Musik sind Blues- und Rockinterpreten wie Jimi Hendrix, Eric Clapton, Nick Drake, Pearl Jam, Ben Howard und John Martyn.