Von Christopher Warmuth, 29.09.2016

Krach in Basel

Das Theater Basel und die Stockhausen-Stiftung haben sich nach einem Rechtsstreit wieder vertragen. Gezankt wurde über einen Online-Stream der Oper „Donnerstag“ aus dem „Licht“-Zyklus von Karlheinz Stockhausen. Die Regisseurin Lydia Steier in einem Interview, das vor Bekanntgabe der Einigung geführt wurde.

Die Stockhausen-Stiftung, maßgeblich vertreten durch Suzanne Stephens-Janning und Kathinka Pasveer, wollte den Live-Stream der Basler Opernproduktion „Donnerstag“ aus Karlheinz Stockhausens „Licht“ erst unterbinden. Nach langem Hin und Her wird es jetzt doch zu einem Live-Stream kommen. Die Stiftung ist mit der Inszenierung von Lydia Steier immer noch nicht zufrieden und wird dies in einem Statement im Rahmen des Streams klar stellen. Laut Aussagen der Stiftung missachte Lydia Steier Eintragungen vom Komponisten, und die Inszenierung sei nicht mit den Intentionen des Schöpfers zu vereinbaren. Bizarr, dass die Inszenierung in diesen Tagen von der Fachzeitschrift „Opernwelt" zur „Aufführung des Jahres" 2016 gekürt wurde. Der Stream ist für Anfang Oktober geplant. Die Stockhausen-Stiftung in Kürten vertritt alle Urheberrechte am Werk. Karlheinz Stockhausen, 2007 gestorben, war ein polarisierender Spiritualist, der unter anderem glaubte, auf dem Stern Sirius ausgebildet worden zu sein. Bis heute kümmern sich die sogenannten „Stockhausenianer“ um sein Werk. Wie konnte der Streit so eskalieren?

niusic: Frau Steier, das nächste Mal inszenieren Sie lieber wieder Georg Friedrich Händel, bevor Sie es mit Witwen kurzfristig verstorbener Komponisten aufnehmen?
Steier: Ich hätte nicht gedacht, dass es solche Probleme geben würde. Klar, es ist vergleichsweise heikel, Stockhausen zu inszenieren, weil er selbst so viel Vorgaben in seiner Partitur gemacht hat. Und es ist eine sensible Geschichte, weil er Autobiografisches in „Donnerstag“ verwoben hat. Das Team hat eineinhalb Jahre vor der Premiere eine Besprechung geführt mit Kathinka Pasveer und Suzanne Stephens-Janning in Kürten. Da war Frau Stephens-Janning diejenige, die uns allen das Gefühl gegeben hat, dass wir außerhalb der Grundstruktur ziemlich viel Freiheit haben. Also für mich fast wie eine normale Regiearbeit.

niusic: Gab es denn Auflagen seitens der beiden Witwen?
Steier: Es war die erste Aufführung nach dreißig Jahren. Die musikalische Qualität hatte oberste Priorität. Wir haben gemeinsam die Besetzung gewählt. Die Solisten hatten teilweise mit den Beiden gearbeitet, waren dadurch schon mit Musik und Spielweise vertraut. Frau Stephens-Janning hat deshalb darauf bestanden, dass Frau Pasveer die musikalische Einstudierung und die Klangregie übernimmt.

niusic: Wie war die Zusammenarbeit mit Frau Pasveer?
Steier: Super! Am Anfang war es ziemlich komisch, aber wir haben dann sehr kreativ gearbeitet. Es war ein bisschen so wie das Autofahren mit der Mutter.

niusic: Die Ihnen jetzt das Auto wegnehmen will …
Steier: Die Aufführungen in Basel finden ja statt. Es ist auch nicht Frau Pasveer, die das Live-Streaming verhindern möchte, sondern die Stiftung. Frau Pasveer bedauert die veränderte Haltung seitens einiger Mitglieder der Stockhausen-Stiftung.

niusic: Was haben Sie an der Oper „Donnerstag“ aus dem „Licht“-Zyklus verändert?
Steier: Uns war es sehr wichtig, einen Rahmen zu bauen, damit die Grundstruktur der Oper unangetastet bleibt. Damit sind die Musik und Stockhausens „Gestensprache“ gemeint. In diesem Rahmen haben wir eine durchgehende Geschichte erzählt über tiefe Trauer und den Triumph der Seele durch Musik. Die Hauptfigur Michael, die viele biografische Züge Stockhausens trägt, haben wir durchgehend als einen facettenreichen Menschen dargestellt und dabei einen psychologischen und humanistischen Weg eingeschlagen. Ich versuchte somit, die Partitur Stockhausens nachzuerzählen. Die Steifheit der Fassungen von 1981 und 1985 hätte meiner Meinung nach dazu geführt, dass das Stück vom Publikum unnötig distanziert wird.



niusic: Ab wann haben Sie gemerkt, dass die Stockhausen-Stiftung Einfluss nimmt?
Steier: Die zwei Musiker Merve Kazokoğlu und Paul Hübner bekamen sehr kritische Mails von Suzanne Stephens-Janning oder von deren Frau Johanna, ob sie nicht illoyal handelten, wenn sie in dieser Produktion mitwirkten. Diese indirekte Einmischung sorgte im engen Team für Unruhe und störte den künstlerischen Prozess.

niusic: Wer genau ist denn „die“ Stiftung?
Steier: Die Namen des Stiftungsrats sind nicht im Internet veröffentlicht. Suzanne Stephens-Janning und ihre Frau, die auch stimmberechtigt in der Stiftung ist, sowie Kathinka Pasveer gehören sicher dazu.

niusic: Sie haben dem Ehepaar Stephens-Janning Probenbesuche untersagt ...
Steier: Suzanne Stephens-Janning fragte bei der Operndirektion an, ob ein Probenbesuch möglich sei. Ich bin zum Ensemble gegangen, und wir waren alle der Meinung, dass es nicht förderlich wäre, wenn außer Frau Pasveer noch weitere Stiftungsmitglieder den Proben beiwohnen. Außerdem war das Ehepaar Stephens-Jenning zur Generalprobe eingeladen.

niusic: Sind die beiden dann auf Sie zugekommen?
Steier: Nein, Johanna Stephens-Janning hat Paul Hübner nach der Generalprobe eine sehr lange Mail geschrieben: Dass sie sehr enttäuscht sei, die Inszenierung blasphemisch finde, und dass alles fundamental gegen Stockhausen-Liebhaber gerichtet sei.

niusic: Was ist nach der Premiere passiert?
Steier: Eine Musikerin hat mir erzählt, dass die Stiftung in der Zeitung inserieren wollte, dass sie mit der Inszenierung nicht einverstanden sei. Und sie wollte Flyer vor der zweiten Vorstellung verteilen, was sie dann aber nicht getan hat.

niusic: Aber es gab kein Bestreben, dass die Stiftung rechtliche Konsequenzen einleitet?
Steier: Nein. Nicht bezüglich der Aufführungen. Deshalb sind wir so überrascht, dass das Live-Streaming nun plötzlich verhindert werden soll. Nach der zweiten Vorstellung hatte Suzanne Stephens-Janning mir gesagt, dass sie mit mir über die Inszenierung reden wolle. Deshalb bin ich letzte Woche nach Kürten gefahren. Sie hat mir mitgeteilt, dass sie die Inszenierung indiskutabel findet, abgesehen von ein paar Stellen. Ich kann gar nicht sagen, was passiert ist, denn Frau Pasveer war ja die ganze Zeit beim Entstehungsprozess dabei. Und wir hatten musikalisch die mit allen abgestimmte Idealbesetzung. Gegen Ende war es ein total nettes Gespräch, in dem ich darlegte, dass es mir nicht darum geht, Wahrheiten zu postulieren, sondern die Inszenierung in die Öffentlichkeit und zur Diskussion zu stellen. Es geht um Diskurs. Wir können sie nur fünf Mal in Basel zeigen, und es wäre doch für alle Beteiligten wünschenswert, dass wir sie einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen. Am Ende des Gesprächs sagte Suzanne Stephens-Janning zu mir, dass sie sich mit dem Live-Streaming doch anfreunden könne unter der Bedingung, dass kommuniziert werde, dass die Stiftung inhaltliche Bedenken gegenüber der szenischen Arbeit hat.

niusic: Woher dann jetzt der Sinneswandel?
Steier: Die Stiftung will verhindern, dass die Inszenierung Menschen erreicht. Es passt scheinbar nicht in das Weltbild Stockhausens. Am liebsten wäre es ihr ohnehin, wenn die Inszenierung gar nicht existieren würde.

© Anke Neugebauer
© Karlheinz Stockhausen: Kathinka Pasveer/Wikimedia.commons/CC BY-SA 3.0


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