#zukunftsbühne

Creative LAB, Sound 4D, Remixing – wie Musiktheater zukunftsweisend wird, untersuchen wir an der Produktion „Castor&&Pollux“ in Heidelberg.

Von Silja Vinzens, 20.03.2019

Spannungsfelder

Oper als multimediales Kunstwerk ist ein teurer Spaß. Das hat sich vom Barock bis heute nicht geändert. Was hat sich aber in der Finanzierung und der Zuhörerschaft solcher großen Bühnenprojekte getan? niusic konfrontiert den Entstehungsprozess von Jean-Philippe Rameaus „Castor et Pollux“ mit der darauf aufbauenden Produktion „Castor&&Pollux“ beim Heidelberger Frühling 2019.

Liebe, Hass, Angst, Mut, die ganze Palette zwischen Leben und Tod: Es sind die großen Gefühle und existenziellen Themen, die sich wie ein roter Faden bis heute durch die Geschichte der Oper ziehen. Doch nicht nur emotional, sondern auch kulturell schöpft die Kunstform Oper aus dem Vollen. Schließlich werden hier Sänger, Orchester und bildreiche Inszenierungen auf einer Bühne zusammengeführt. Aber überlebt ein 400 Jahre altes Stück den Sprung ins Heute, können uns die Sujets im 21. Jahrhundert noch etwas sagen? Intendanten und Dramaturgen tun einiges, um ihre Zuhörer von den alten Stoffen der Opernklassiker zu überzeugen. Denn menschliche Gefühle, wie sie in der Oper thematisiert werden, haben nichts an ihrer Aktualität verloren, sind überzeitlich. Daher greift der Heidelberger Frühling (HF) mit seiner diesjährigen „Castor&&Pollux“- Inszenierung zurück auf das 1737 von Jean Philippe Rameau komponierte Werk „Castor et Pollux“. Und damit auf eine Geschichte aus der Antike.

#zukunftsbühne

Creative LAB, Sound 4D, Remixing – wie Musiktheater zukunftsweisend wird, untersuchen wir an der Produktion „Castor&&Pollux“ in Heidelberg.

„Castor und Pollux“ sind ein Zwillingspaar aus der Mythologie. Pollux ist im Gegensatz zu seinem Bruder Castor unsterblich, beide lieben die Prinzessin Télaïre. Doch sie hat nur Augen für Castor. Als dieser im Krieg tödlich verunglückt, gerät Pollux in einen schwierigen Konflikt zwischen Bruderliebe und Konkurrenzdenken um die Angebetete. Rameaus Werk enthält somit ein großes Drama voller Spannungen, wie es für die Oper typisch ist. Wie hat das Heidelberger Produktionsteam von „Castor&&Pollux“ diesen Stoff für unsere heutige Zeit aufbereitet?

„Ich glaube nicht, dass man Musiktheater neu erfinden muss.“

Thorsten Schmidt

Durch Digitalisierung, lautet die Antwort des Heidelberger Frühlings mit „Castor&&Pollux“. Es schließe sich nicht aus, dass man Grenzen sprengt und damit dennoch eine möglichst große Zielgruppe erreicht, meint HF-Intendant Thorsten Schmidt. „Ich glaube nicht, dass man Musiktheater neu erfinden muss“, betont er, angesprochen auf die Wege, die der HF mit „Castor&&Pollux“ geht. Wo in Heidelberg ein 4-D-Soundsystem und Videobotschaften des Google-Entwicklungschefs Ray Kurzweil mit der alten Musik verbunden werden, versuchte Rameau zu seiner Zeit, die Musik neu zu definieren: Mit bis dahin unbekannten melodischen Wendungen und extrem schnellen Passagen weitete er die damaligen Grenzen der Tonsprache.

Doch das gefiel längst nicht allen und zeigt, wie wenig Freiheiten der Komponist im Vergleich zu den Machern des modernen „Castor&&Pollux“-Musiktheaters hatte. Intendant Thorsten Schmidt hat 2017 mit dem sogenannten LAB, einer Denkzentrale des Heidelberger Frühlings, einen Raum für Künstler geschaffen, in dem Projekte wie „Castor&&Pollux“ aus der Diskussion heraus entstehen können. Jean-Philippe Rameau wurde nicht nur von seinem Publikum, sondern auch von König Ludwig XV. und seinem großen Förderer La Pouplinière beeinflusst und beurteilt, wie es aus einem Beitrag von Michael Trinks innerhalb des „Historicums“ der Bayerischen Staatsbibliothek hervorgeht.

„ ... Dissonanzen ohne Ende, viel Lärm, Furor, Getöse und Turbulenz an Stelle von Freude ... “

Trotzdem unternahm Rameau erste Versuche, aus den am Hofe geliebten Traditionen auszubrechen. Obwohl er bei der klassischen, von Jean-Baptiste Lully geprägten, Form, der Tragédie lyrique, blieb, nutzte er eine sehr viel ausdrucksstärkere Tonsprache. Das kam nicht gut an. Viele Zuhörer sollen gemeint haben, die Instrumente seien falsch gestimmt worden, berichtet Stefan Zednik vom Deutschlandfunk über das Vorgänger-Werk von „Castor et Pollux“, die Oper „Hippolyte et Aricie“, die das Publikum bereits gespalten haben soll. Charakteristisch für die Musik seien laut „Mercure de France“: „ ... Dissonanzen ohne Ende, viel Lärm, Furor, Getöse und Turbulenz an Stelle von Freude – nichts, das ans Herz gehen könnte …“, zitiert Zednik eine der Rezensionen von damals.

Mit „Castor et Pollux“ soll sich der Streit zwischen den Anhängern Lullys und den Rameau-Verehrern noch weiter verstärkt haben. Die Oper geriet allerdings schnell in Vergessenheit und bekam erst in der von Rameau überarbeiteten Fassung 1754 die gewünschte Aufmerksamkeit. Darin kehrte der Komponist wieder zu einer traditionelleren Kompositionsweise zurück. Der Musikwissenschaftler Charles Dill geht davon aus, dass diese Veränderung auch maßgeblich mit den Kommerzialisierungstendenzen der damaligen Zeit zu tun hatte. Seit es öffentliche Opernhäuser gab, wurde es für den Erfolg immer wichtiger, dass sich die breite Masse mit den Figuren und der Musik identifizieren konnte. Das hatte Rameau ja auch deutlich bei der Uraufführung von „Castor et Pollux“ zu spüren bekommen. Diese war zum einen durch den Ort, die Académie Royale, einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich. Zum anderen unterlag das Haus der Herrschaft des Königs. 1745 wurde er von dessen Sohn, der mittlerweile selbst die Krone trug, zum Hofkomponisten ernannt und seine Musik vor allem bei offiziellen Anlässen des Hofes gespielt. Rameau stand somit Zeit seines Lebens zwischen den Stühlen, zwischen Tradition und dem Willen zur Veränderung.

Altes und Neues nebeneinander: eine bereichernde Wirkung

Auch wenn die Umstände heute ganz andere sind, ist das Spannungsfeld in Heidelberg ein ähnliches. Intendant Thorsten Schmidt betrachtet es jedoch als „ein großes Geschenk, dass ein Nebeneinanderbestehen von Altem und Neuem möglich ist und die Erweiterung der Mittel genutzt werden kann.“ Durch die Digitalisierung würden sich auch im klassischen Bereich die Möglichkeiten verändern. „Ich glaube, dass das ein überfälliger, aber kein disruptiver Prozess ist“, erklärt Schmidt, warum er darin eher eine bereichernde, als eine zerstörerische Wirkung erkennt.

Anders als Rameaus Oper sei „Castor&&Pollux“ jedoch „eher ein Zufall gewesen“, der sich aus der Arbeit des LABs heraus entwickelt habe. Ob das multimediale Musiktheater-Projekt neue Zielgruppen erschließen wird? „Die Oper richtet sich in erster Linie an Menschen, die Interesse an Theater und Musiktheater haben. Der digitale Charakter, speziell das Soundsystem, wird vielleicht darüber hinaus noch Neugierige anlocken, die vielleicht sonst eher nicht eine „La Bohème“ im Opernhaus ansehen würden. Umgekehrt kann der klassische Operngänger eventuell nicht so viel mit dem Digitalen anfangen. Aber es gibt eine große Schnittmenge in der Mitte“, antwortet der Intendant. Ob das Konzept aufgeht und am Ende der klassische Digital-Junkie mit dem klassischen Opernfan Seite an Seite die Sage von „Castor et Pollux“ neu entdeckt, wird man Anfang April in Heidelberg erleben können.

© pixabay


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