Ein Hochzeitsfest im Garten. Es ist Nacht. Lachende Menschen schicken Lampions in das tiefe Himmelsschwarz, gute Wünsche für das glückliche Paar. Ein Tremolo-Schimmer in den Violoncelli, Bassklarinette und Kontrabass im Pianissimo. Darüber singt, mild und leise, eine Sopranstimme.
Der sogenannte „Liebestod“ aus Richard Wagners Musikdrama „Tristan und Isolde“ ist ein atemraubendes Stück. Nirgendwo hat Wagner eindrucksvoller gezaubert als in dieser Musik, sie wirkt wie eine Droge, die Lichterscheinungen und Gespenster heraufbeschwört, den Hörer für einen Moment mit den Ohren sehen lässt. Ein starkes Mittel – und doch kann der Spuk nur wirken, wenn man ihn zulässt. Manch einen mögen diese tiefromantischen Gefühlsduseleien vielleicht kaum noch regen, vielleicht ist man inzwischen abgestumpft von hochdramatischen Hollywood-Produktionen, vielleicht braucht es nun mehr als schluchzende Operndiven auf verstaubten Bühnen. Mehr Suggestionskraft. Mehr Erotik. Mehr epische Bilder. Mehr … Endzeit-Szenario!
Ein User namens Gennady Kostin hat auf YouTube da etwas Passendes parat. Eine Mischung von Tragik, Wagnerismus, einer Menge Rührseligkeit und einer Vorliebe für psychedelisches Kunstkino. Here we go:
Diese HD-Bilder! Und ist die blonde Braut nicht Kirsten Dunst? Oh ja, sie ist es. Die Aufnahmen stammen aus dem preisgekrönten Endzeitfilm „Melancholia“ des Regisseurs Lars von Trier. Auf YouTube hat man sieben Minuten Schnipsel aus dem Film zu einer Art Fan-Trailer zusammengestellt und mit Wagners Liebestod-Musik synchronisiert.
Die Bilder sind nicht nur sauber auf die Musik geschnitten, sie passen sogar zum Text! „Seht ihr’s, Freunde?“ Partygäste, die den aufsteigenden Laternen nachsehen. „Säh’t ihr’s nicht?“ Auch Kirsten Dunst blickt in den Himmel. Und dann kommt das erste Highlight des Videos: Die Braut sieht in ein Teleskop und da, „immer lichter“, „leuchtet“ ein jupitergroßer, blauer Planet vor einem roten Stern. „Stern-umstrahlet“ eben. Episch.
Spätestens wenn bei 6:18 dann aber das Planetenungeheuer mit der Erde kollidiert, fragt man sich doch, was das Ganze soll. Die Musik wird hier vom Ende der Oper zum Anfang gerissen und gewaltsam übergeblendet, in den Höhepunkt des Tristan-Vorspiels. Anstelle des erlösenden H-Dur-Akkords peitschen Skalen in die Höhe. War hier etwa weniger ein wild gewordener Wagnerianer am Werk als vielmehr ein fanatischer Filmfan?
Vielleicht möchte man es am Ende gar nicht so genau wissen. Denn sicher ist: Dieses Video versteht sowohl Wagners Musik als auch von Triers Film kolossal falsch, zeigt gar, was man alles anrichten kann, wenn man derartige Bilder gedankenlos über eine solche Partitur schustert. Die Idee kommt natürlich nicht von ungefähr, die Tristan-Musik spielt ja auch im Film „Melancholia“ eine entscheidende Rolle. Allerdings sind es dort vor allem instrumentale Stellen, meist aus dem berühmten Vorspiel, die wild zerschnibbelt und crossgefaded als Leitmotive für alles Mögliche eingesetzt werden.
Licht aus!
Es geht von Trier dabei nicht um die Oper „Tristan und Isolde“, obwohl der Film durchaus ähnliche Meta-Themen anreißt, zum Beispiel Todessehnsucht, Liebe, Rausch und Verklärung. Diese Übereinstimmungen spielen sich aber lediglich vordergründig ab. Wagners „ew’ge, süße Nacht“ hat eine ganz andere Farbe als Lars von Triers schwarzes Nichts, die überschwängliche Liebe in „Tristan und Isolde“ ist weit weg von der kalten Erotik in „Melancholia“. Auch hier spricht die Musik Bände: Während sich bei Wagner am Ende die Spannung auflöst, in schimmerndem H-Dur, geht bei von Trier einfach das Licht aus. Es geht nicht um Erlösung, sondern um das Nichts.
Interessant ist, dass das YouTube-Video diese Tatsache offensichtlich macht. Es nimmt die oberflächlichen Aussagen von Oper und Film so sehr beim Wort, dass sich die hergestellten Parallelen sofort als bloße Konstrukte entpuppen. „Melancholia“ bedient sich Wagners Musik, weil diese sich in unvergleichbarer Weise für die künstlerische Erzeugung rauschhafter Zustände eignet – mehr nicht. Das ist leider ein häufiges Phänomen beim Einsatz von klassischer Musik im Film: Man reduziert die Musik auf ihren emotionalen Gehalt, lässt alles, was darüber hinaus in ihr steckt, außer Acht. Wie ungeheuerlich, dass das einen berühmtem Kunstfilm-Regisseur ebenso wenig zu kümmern scheint wie einen begeisterten Hobby-Cutter.