Von Carsten Hinrichs, 13.11.2018

Händel im Schredder

Hohe Kunst im Fleischwolf: Als schönste Form der Verneigung entpuppt sich die gekonnte Verballhornung. So wird aus einem Krönungsanthem ein Blockflötenkreis.

Günzburg – Einen Traum konnte sich der „Freundeskreis Günzburger Barockmusik“ am vergangenen Sonntag mit der Veranstaltung eines großen Chorkonzerts erfüllen. Das testamentarisch überschriebene Erbe des Händelliebhabers Prof. Dr. Knesewang ermöglichte dem Liebhaberkreis die Anmietung des Konzerthauses im benachbarten Ulm für einen Auftritt seines Barockorchesters unter der Leitung des Vereinsvorsitzenden und Chordirigenten Claus von Wellersheim.
Zur Aufführung kam die von ihm eigens erarbeitete Fassung von Georg Friedrich Händels Krönungsanthem „Zadok the Priest“, die seine umstrittenen Forschungsergebnisse zur mitteltönigen Stimmung bei Händels späten Chorsätzen und zu Eigenwilligkeiten in der Behandlung der Holzbläser berücksichtigt. Das Konzert konnte die Kritiker aufgrund von Schwierigkeiten in der Balance von Chor und Orchester nicht vollends überzeugen, wurde vom Verein aber begeistert als Höhepunkt seiner Geschichte gefeiert.



Nein, natürlich sind das alles Fake News. Die Alte Musik in Günzburg ist besser als ihr Ruf, und das hier zu sehende Ensemble, die Academy of Ancient Music, hat Weltklasseformat. Direkt beim Einsatz des Chores ist wohl jedem klar, dass es sich hier um eine Verballhornung handelt. Aber was für eine!
Dabei erfüllt solch präzise Nachvertonung hoher Kunst einen doppelten Zweck: Sie zieht das erlauchte Vorbild durch den Kakao und macht durch den bei allem technischen Aufwand gewollt unfertigen Auftritt klar, dass es sich um eine Karikatur handelt. Zu den ungeschriebenen Gesetzen eines solchen „Shreds“ zählt etwa auch, dass immer nur das zu hören ist, was auch gerade zu sehen ist. Klanglich seltsam trocken pendelt der Händel-Satz also – der Bildregie folgend – zwischen den Sängerinnen und den Instrumentalgruppen hin und her – und zersägt einen Höhepunkt der Chorliteratur zu unkoordinierten Einwürfen.
Entscheidend für die Wirkung ist auch, dass der Shred dabei Dinge aufbietet, die überzogen sind, aber zum visuellen Eindruck perfekt passen, wie etwa die Stimmen der Sängerinnen ab 02:06 oder auch die schläfrig klingende Sopranistin ab 02:27. Die Mühe, die sich die oft anonymen Künstler bei der exakten Nachvertonung gemacht haben, wird so bei aller Bosheit zur schönsten Form der Hommage.

© Screenshot


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