Daniel Barenboim ist ein Gruselopa, der auf Beerdigungsmusik steht. Außerdem wohnt er in einem Schloss mit Tonstudio und schneidet in seiner Freizeit Rapmusik. Gut, ganz realitätsnah ist das Zeichentrick-Ich von Barenboim in der französischen Serie Max und Maestro dann doch nicht, auch seine Stimme klingt viel sympatischer als in echt, und er hat weniger Falten.
Die Serie läuft seit ein paar Tagen auf KIKA und behandelt tatsächlich Klassische Musik. Im Fernsehen! In kleinen, zehnminütigen Episoden will Barenboim dem Teenager und Rapkeyboarder Max Wissen über Interpretation, Noten und absolutes Gehör näherbringen. Vielleicht nicht ganz so charmant wie ein Leonard Bernstein, aber auf den ersten Blick doch ziemlich gelungen.
Ehrlich gesagt eine ideelle Traumwelt, so privilegiert in die Klassikwelt eingeführt zu werden.
Ich selbst zum Beispiel hatte in meiner Kindheit keinen Vermittlungsritter Barenboim nebenan wohnen, sondern nur einen Vater, der mir alte Bach-CDs in die Hand gedrückt hat. Die hörte ich, meist vor Mathearbeiten, denn im Kopf Fugenstimmen zu folgen, ließ mich logischer und konzentrierter denken. Klassik zuerst als Gebrauchsobjekt.
Max ist da weiter, nicht nur frisurentechnisch mit seinem stylischen Undercut. Am Ende der ersten Folge hat er bereits gelernt, was eine gute Interpretation ausmacht und lässt sich komplett in die Musik fallen, visualisiert durch eine Wasser-Traum-Sequenz. Die Musik steht immer klar im Mittelpunkt von Max und Maestro, nicht Anekdoten oder Biografien. Anders als in der ECHO-Gala oder in einer reißerisch aufgemachten Beethoven-Doku vereinfacht man nicht, labert nicht um den komplexen Kern herum, sucht sich allerdings schon die Evergreens der Musikgeschichte heraus. Doch wer fing nicht damit an, auch ich begann damals mit Bach-Konzerten, bevor es viele Jahre später auch an Neue Musik ging.
In einem Punkt unterscheiden sich meine und Max` Klassikbiografie dann aber gewaltig. Das größte Hindernis, seine Musikliebe auszuleben, ist für die Serie der Druck der Peer-Group. Denn obwohl Max` Freundin mit Astrophysik auch ein so richtig unsexy Hobby hat, traut er sich erstmal nicht, zu seiner Freude an Klassik zu stehen. Das ist was für Rentner: uncool, langweilig und spießig. Max` Kollegen aus der Rap-Band sparen auch nicht mit den bekannten Vorurteilen.
Hier kann ich Max schon jetzt einen Rat aus persönlicher Sicht geben: Er sollte nie versuchen, die Klassik jemandem als hip zu verkaufen. Keiner seiner Freunde wird ein Harnoncourt-YouTube Video geil finden, und „Klassik im Club“-ähnliche Projekte haben doch meist einfach den gewissen Fremdschäm-Faktor. Klassik ist nicht massentauglich, cool und stylisch, sondern intim, innerlich und ganz persönlich.
Max kann zu Rockkonzerten oder Fußballspielen mit seinen Freunden gehen, sich aber gleichzeitig freuen, dass er eine ganz besondere Vorliebe hast, die er ganz allein genießt. Es kann auch mal cool sein, nicht verstanden zu werden. Vielleicht macht das Max auch mysteriös und gerade interessant für andere Menschen. Vielleicht hat der faltenfreie Daniel Barenboim aber auch einen ganz anderen Tipp.
Mal abwarten, ob Max seinen dünnen Oberarm dann am Ende der Serie stolz zu Ravels Bolero aus dem Autofenster hängen lässt, wenn er mit seiner Gang unterwegs ist, oder sich doch einfach dazu bekennt, anders zu sein als seine Freunde.