niusic: Eine Beethoven-Woche, initiiert von Beethoven-Freunden in der Geburtstadt von Beethoven, nämlich Bonn, und unter Ihrer Inititiative als Direktor des Beethoven-Hauses Bonn. Und im Auftaktkonzert kein Beethoven. Schämen Sie sich nicht?
Malte Boecker: lacht Man muss nicht Beethoven spielen, um Beethoven zu thematisieren. Das Auftaktkonzert ist eines meiner liebsten. Die Beethoven-Woche ist ein Werk-Festival. Wir haben uns ein Werk von Ludwig van Beethoven vorgeknöpft und betrachten es von ziemlich vielen Seiten. Und am Auftaktabend ist es eher die zeitgenössische Perspektive.
niusic: Wer ist wir?
Boecker: Ohne Tabea Zimmermann würde hier nichts gehen. Ich bin sehr froh, dass Frau Zimmermann die Arbeit von Kurt Masur fortsetzt, der damals die künstlerische Leitung gesundheitsbedingt abgeben wollte. Und Frau Zimmermann steht für eine sehr inspirierende Auseinandersetzung mit Beethoven. Zusammen mit Luis Gago, dem Chefkritiker der spanischen Zeitung EL PAÍS, der ein fabelhafter Dramaturg ist, entwerfen wir die Programme für die Beethoven-Woche.
niusic: Wenn Karl Lagerfeld für H&M designed, munkelt man, dass er die Kollektion nicht einmal sieht. Sie entwerfen das aber tatsächlich gemeinsam?
Boecker: Wir sind nicht H&M. Es ist keine Marketingshow, die wir abziehen. Es ist ein Trialog. Und nur so können wir auch gewährleisten, dass die Beethoven-Woche konzeptionell so spannend wird.
Ein Lobbyist im besten Sinne! Malte Boecker, 1970 in New York geboren, setzt sich als Direktor des „Beethoven-Hauses Bonn“ für das Erbe von Ludwig van Beethoven ein. Das, was nach schöder Archivarbeit klingt, ist tatsächlich mehr als eine musealen Gedenkstätte. Es ist das international führende Beethoven-Zentrum.
Seit 2014 knüpft die jährlich im Januar stattfindende „Beethoven-Woche“ an diese große Tradition an. Zuvor arbeitete Malte Boecker im erweiterten Führungskreis der Bertelsmann Stiftung zum Internationalen Dialog der Kulturen. Von 1997 bis 2001 verantwortete er das Justitiariat der Europäischen Kulturhauptstadt Weimar 1999. In dieser Funktion leitete er auch die Gründung des von Daniel Barenboim und Edward Said dort initiierten West-Eastern Divan Orchestras mit arabischen und israelischen Musikern.
niusic: Wie schwierig ist es, wenn man mit Beethoven konzeptionell arbeitet, nicht nur Vergangenheitsbewahrer zu sein?
Boecker: Genauso einfach, beziehungsweise schwierig, wie mit jedem anderen Komponisten auch.
niusic: Aber Beethoven ist irrsinnig aufgeladen, mythenumrankt und vereinnahmt. Ich meine, hätten Sie manchmal nicht lieber Beethoven ohne seine Rezeption, die einem permanent Fallen stellt?
Boecker: lacht Das wäre schön. Aber so ist es nicht. Beethoven strahlt nun seit mehr als zweihundert Jahren in alle Epochen und vermutlich hat dieses Privileg auch eine Kehrseite. Natürlich stellt Beethoven sehr viele Fallen bereit, die überall einladend herumstehen, dass man nur in sie tappt. Aber das gehört dazu...
niusic: Warum widmet sich die Beethoven-Woche dann so einem schwierigen Thema wie dem Volkslied? Der Begriff ist durch die Zeit von 1933-1945 nicht mehr so einfach zu verwenden. Es entstehen zumindest schnell Assoziationen zu dieser Zeit...
Boecker: Entweder das oder sie denken an Massenphänomene wie Helene Fischer. Wenn wir uns das genau bei Beethoven ansehen, dann erzählen uns die Volkslieder – „Volks.Lied.Bearbeitung.“ ist ja unser diesjähriges Motto – wie komplex Beethoven mit einfachen musikalischen Assoziationen musikalisch arbeitet. Seinen Liedbearbeitungen wird noch immer nachgesagt, dass sie Gelegenheitsarbeiten sind, die vor allem Geld bringen sollten. Über Letzteres kann man sicher nachdenken, aber diese Kompositionen sind alles andere als gelegentlich.
niusic: Wenn ich mir die Liste der diesjährig aufgeführten Komponistinnen und Komponisten ansehe, dann sind von knapp dreißig nur drei nach 1950 geboren. Werden Sie Beethoven als radikalem Neuerer gerecht?
Boecker: Unser Schwerpunkt ist nicht die zeitgenössische Musik. Aber wir legen in der Beethoven-Woche sehr viel Wert auf Musik des 20. Jahrhunderts. Sie haben selbst das Auftaktkonzert angesprochen. Das ist eine deutliche Setzung von uns. Uns geht es darum, dass wir uns ein Werk von Beethoven herausnehmen und Bezüge zu anderen Komponistinnen und Komponisten herstellen. Mich persönlich interessiert an Beethoven das Wirkungsgeflecht.
niusic: Damit umschiffen Sie das Problem der Vergangenheit, solitäre Aussagen über Beethoven zu tätigen. Ich meine, es gab ja in der Vergangenheit beinahe alles: Zeiten, in denen Beethoven der Heroe war. Zeiten in denen er als Nationalkomponist instrumentalisiert wurde. Und in den 1970ern auch Zeiten, wo man Beethoven vom Sockel schubsen wollte. Was sagen die Menschen in einhundert Jahren über unsere Beethovenzeit?
Boecker: Hoffentlich, dass Beethoven sich entfalten kann in seinen Bezügen. Da haben Sie schon recht: Es ist unfassbar erstaunlich, dass seine Musik in allen Epochen rezipiert wurde, freilich unter verschiedenen Gesichtspunkten. Aber, dass ein Komponist so unerlässlich aufgeführt wird, ist eine absolute Seltenheit. Daraus erwächst die Aufgabe, diese Strahlkraft von allen Seiten zu betrachten. An einer engstirnigen Betrachtung bin ich nicht interessiert. Beethoven ist nicht Beethoven. Beethoven ist ein heterogenes Phänomen.
niusic: Mal ehrlich: Langweilt es Sie, dass Sie sich immer mit Beethoven auseinandersetzen müssen? Was machen Sie im großen Jubiläumsjahr 2020? Keinen Beethoven spielen?
Boecker: Das wäre vielleicht etwas zu radikal. Wobei der Gedanke interessant ist. Es gibt aber auch hier in Bonn Kräfte, die das erst gar nicht zulassen würden. Aber, wir arbeiten als Werk-Festival. Bis 2027 wissen wir schon, welche Werke wir ins Zentrum stellen. Aber, im Beethovenjubiläumsjahr brechen wir mit dieser Tradition und werden die gesamte Kammermusik von Beethoven aufführen. Die Idee dabei ist, nicht die Beziehungen eines bestimmten Beethoven-Werkes zu anderen Werken der Musikgeschichte hervorzuheben, sondern die Binnenbeziehungen innerhalb dieses Komplexes. Das geht nur, wenn wir Gattungswechsel bei den einzelnen Konzerten programmieren, etwa indem wir in einem Konzert Streichtrios, Duos und Quartette mischen.
niusic: Ok, das meine ich ironisch: Ist das das Maximum an Innovation, die geht?
Boecker: lacht Sie können sich nicht vorstellen, was mir schon erwidert wurde, als ich erzählte, dass ich mich um das Beethoven-Haus kümmere. Es ist jedenfalls noch nie unternommen worden. Und wir sind ja schließlich keine Archivare. Und auch einen kleinen Seitenhieb wird Beethoven aushalten.
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