Von Christopher Warmuth, 13.01.2017

Pizzalieferdienst in der Elphi?

Nach dem Eröffnungskonzert hat Wiebke Lehmkuhl sich in ein kleines Strandkörbchen am nordischen Wasser zurückgezogen. Sie hat beim Eröffnungskonzert den vierten Satz von Ludwig van Beethovens 9. Sinfonie als Solistin gesungen. Wer, wenn nicht sie, könnte uns verraten, wie der Saal klingt. Aus Künstlersicht.

niusic: Wie gehts dir so kurz nach dem Eröffnungskonzert?

Wiebke Lehmkuhl: (lacht) Na ja, ich bin schon etwas gerädert. Aber mir geht es super. War eine große musikalische Party gestern. Ich bin zwar gerade etwas schlapp, aber auch so euphorisiert und erleichtert, wie glaube ich alle Mitwirkenden.

niusic: Das Konzert war ja im großen Saal, du hast aber auch im kleinen geprobt ...

Lehmkuhl: Sooo wunderschön. Der ist aus unbehandeltem Eichenholz und hat einen super warmen Klang. Als ich geprobt habe, habe ich gemerkt, dass es mich innerlich kitzelt, da einen Liederabend zu machen. Der kleine Saal hat auch eine physische Anziehungskraft. Da sind überall diese Rillen in den Panelen, und ich musste sie die ganze Zeit anfassen und streicheln.

niusic: Hört sich fast wie eine zwischenmenschliche Beziehung an?

Lehmkuhl: (lacht) Ja, tatsächlich ein wenig. Beide Räume sind wirklich wie lebendige Organismen. Je nach Blickwinkel sehen sie immer anders aus. Es ist fast so, als würden sie leben. Im kleinen Saal ist das Holz kerniger, das gibt eine andere Stimmung. Aber beide sind wie ein eigenes Instrument.

niusic: Nicht alle Kritiker waren von der Akustik begeistert, weil man nicht überall gleich hört ...

Lehmkuhl: Das ist auch so, mit dem Unterschied, dass ich gar nicht weiß, ob ich ein Konzerthaus will, bei dem es sich überall gleich anhört. Das ist ja ein enormer Reiz, dass man Unterschiede hat. Ich bin bei den Proben auch mal durch den Publikumsbereich gelaufen, und es hört sich überall anders an, aber ich fand es sehr positiv, weil es immer etwas Anderes, etwas Besonderes hat.



niusic: Wie klingt der große Saal denn aus deiner Sicht?

Lehmkuhl: Der Saal ist echt nett.

niusic: Nett?

Lehmkuhl: Nein, nicht so. Er ist großartig, weil er so nett und freundlich zu einem als Künstler ist. Auch, wenn man mal nicht ganz auf der Höhe ist, gibt einem der Raum das Feedback, das man braucht. Man kann sich auf der einen Seite nicht verstecken, auf der anderen ist das ein sehr ehrliches Feedback. Das schafft ein unglaubliches Vertrauen. Man wird zuversichtlich. Und mich hat der Raum auf eine Art beflügelt. Der Saal ist wie ein Freund.

niusic: Wie unterscheidet sich der Klang, den du auf der Bühne hast, zu dem aus dem Publikum?

Lehmkuhl Eigentlich gar nicht. Also, natürlich hat man Unterschiede, aber die Durchsichtigkeit und der Effekt sind gleich. Das ist ja das Phänomenale, dass man dem Raum vertraut, weil er einem zeigt, was direkt unten ankommt. Das ist wirklich selten.

niusic: Was sind denn die Nachteile?

Lehmkuhl: Gestern waren es eigentlich nur die Scheinwerfer. Ich glaube, dass die fürs Fernsehen waren. Die haben mich ziemlich geblendet. Das war irritierend.

Wiebke Lehmkuhl direkt nach dem Konzert ...

niusic: Sonst ist der Saal an sich perfekt?

Lehmkuhl: Es gibt eine Sache, bei der ich mich umstellen musste. Das ist aber nicht schlecht, sondern auch einfach nur eine Besonderheit. Normalerweise konzentriere ich mich auf den Punkt im Haus, der am weitesten von mir entfernt ist. Also ich denke nicht in Volumen, sondern eher an einen bestimmten Punkt, zu dem man Kontakt sucht. Dann hast du ein gutes Gespür für den Saal. Das geht bei der Elphilharmonie nicht wirklich, weil der Punkt, der am weitesten entfernt ist, der ist oben.

niusic: Du singst gedanklich also nach oben?

Lehmkuhl: Hm, ja und nein. Weil, eigentlich singt man um sich herum. Das ist ziemlich ungewohnt, hat mich aber sehr inspiriert. In der Kölner Philharmonie und in der Philharmonie Berlin ist das auch ein wenig so. Für mich war das toll. Das hat etwas Mehrdimensionales und dadurch, dass man sich so wohl fühlt, positioniert man sich auch gerne in diesen Bezüglichkeiten zum Raum.

niusic: Also haben sich die etlichen Millionen gelohnt?

Lehmkuhl: Ich finde ja. Obwohl ich sagen muss, dass ich ab einer bestimmten Anzahl von Nullen hinter einer Zahl das Gespür dafür verliere. Aber wie ich heute gelesen habe, was sind schon 800 Millionen für einen Konzertsaal gegen 15 Milliarden Strafzahlung beim VW Abgas-Skandal ...

niusic: Was hast du aus den Proben und aus der Aufführung bisher mitgenommen?

Lehmkuhl: Dass ich keine Pizzalieferantin bin.

Niusic: Wie bitte?

Lehmkuhl: Das hat mal eine Lehrerin gesagt: Wir Sänger sind kein Lieferdienst. Wir sind keine Pizza-Lieferanten. Sie meinte genau das auf den sängerischen Umgang mit dem Klang. Wir Sänger sollten nicht nach vorne fallen in der körperlichen Haltung aber auch im Ausdruck. Man muss bei sich bleiben. Zentriert. Kurz gesagt, es ist ein Raum, der einem ein solches Vertrauen schenkt, dass man von ganz allein bei sich selbst bleibt und so doch jeden im Saal erreicht.

© Wiebke Lehmkuhl
© Michael Zapf


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