Von Christopher Warmuth, 19.02.2017

Tatort Rihm

Die Berlinale, die Grammys und auch der Oscar huldigen ihren Neuschöpfungen im jeweiligen Genre. Die zeitgenössische E-Musik spielt in einer ganz anderen Beliebheitsliga. Nicht ohne Grund.

Erzähl mir nichts vom Pferd. Es gibt wirklich klassische Musik, die heute komponiert wird?

Dieser Vergleich ist sehr gemein: Die Berlinale, die Internationalen Filmfestspiele in Berlin, rauscht mit jährlich einer halben Million Kinobesuchen (Zahl 2015) durch die Hauptstadtkinos, die Grammys wurden von 24 Millionen Zuschauern vor dem Bildschirm verfolgt (Streaming exklusive!). Das sind Zahlen, von denen die Branche der zeitgenössischen klassischen Musik träumt. Die Musiktage in Donaueschingen haben 10.000 Besucher (2016), das Ultraschall Festival Berlin 5.000 (2015), 20.000 Besucher verzeichnete die Kölner Philharmonie mit dem Festival „Acht Brücken“ im Jahr 2016.

Die Fakten sind keine alternativen, der Vergleich ist wenigstens ein alternativer Schluss, denn die Popularität von neuen Filmen oder von neuen Platten der Pop-Stars ist natürlich nicht vergleichbar mit dem Interesse, das der zeitgenössischen Musik entgegengebracht wird. Und es gibt Erlebnisse, die einem deutlich machen, dass es hier auch ein Informationsdefizit gibt, zumindest kommen die Informationen bei vielen nicht an. „Gibt es denn klassische Musik, die heute komponiert wird?“ – Das ist keine ketzerische Frage, sondern eben diese Frage wird mir tatsächlich häufiger gestellt. Dann folgt von mir ein ruhiger, langer und staubtrockener Vortrag über die Entwicklungen in der sogenannten Hochkultur nach Beethoven und der Verweis auf den Historismus, der prominent mit Felix Mendelssohn und seiner Bach-Liebe gestartet ist. Dieser wollte mit der Musik zurückschauen, um in der Zukunft etwas zu bewegen. Und jetzt kommt sie doch, die ketzerische Frage: Hören wir heute in den Musiktempeln altes Repertoire, also schauen zurück, um in der Zukunft etwas zu verändern?

Gestellt wird diese Frage zu selten, lieber mit Aktionismus sublimiert, am besten durch Sponsoring und Subventionen: Es gibt ein Bestreben, der zeitgenössischen Musik unter die Arme zu greifen, sie zumindest in die Nähe der Siegerpodeste zu schleifen. Die Kölner Philharmonie ist dort ein Beispiel im besten Sinne. Der Etat von „Acht Brücken“ ist im Vergleich zu den Einnahmen hoch, Intendant Louwrens Langevoort sieht sich in der Pflicht, die Kartenpreise für reguläre Gastspiele der Berliner Philharmoniker in der Kölner Philharmonie nicht wesentlich mit öffentlichen Mitteln zu vergünstigen. Klar – die exorbitant hohen Preise für das Spitzenorchester werden offenkundig problemlos bezahlt. Karten beim Festival für zeitgenössische Musik „Acht Brücken“ sind günstiger, das Marketing maximal hip, und viele der Veranstaltungen finden nicht in der Philharmonie sondern in diversen Spielstätten in der Innenstadt statt. Das bringt die Musik ins Zentrum, sie wird zumindest wahrgenommen.

Was würde eigentlich passieren, wenn „Das Erste“ oder das „ZDF“ eines Abends um 20.15 zu einer Uraufführung in Tatortlänge von Wolfgang Rihm laden würde? Wäre das ein Anfang oder das komplette Ende?


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