Mit der Alpensinfonie habe er „endlich instrumentieren gelernt“, kokettiert Richard Strauss. Ein Schelm, der einen riesigen Orchesterapparat auch mal Zweiunddreißigstel spielen lässt, während man nur ein paar Töne der Hörner und Trompeten tatsächlich raushört. 130 Musiker spannt das Werk ein, Hornfernorchester, Donnerblech und Orgel inklusive. In der Alpensinfonie sind das aber nur einige Klangfarben von vielen, die in der Gesamtkombination dafür organischer wirken, als es das Heimatfilmszenario mit Vogelgezwitscher, Almdudler und Kuhglocken suggeriert.
Die teilweise sechzehnstimmig spielenden Streicher und die üppig besetzten Bläser halten sich bei Jansons die Waage, ohne den Hörer mit platter Wucht zu überwältigen. Was mitnimmt, ist der Feinsinn, die eine Stunde lang durchgehaltene Spannung und dass sich die Musiker nie ganz den Melodien hinzugeben scheinen. Wir wandern unermüdlich weiter, vorbei an blumigen Wiesen und bayerischem Almidyll. Das CD-Cover fokussiert sich allein auf den Mann der Stunde. Nach dem vermeintlichen Jahr der Götterdämmerung der klassischen Musik könnte man in der CD einen Unterton entdecken, der sagt: „Es gibt sie noch, die lebenden Legenden.“ Die Betonung liegt auf noch.
Der Chronistenpflicht nachgehen
Mariss Jansons hält sich gesundheitsbedingt in seiner Konzerttätigkeit zurück. Dafür dokumentiert BR-Klassik umso fleißiger seine Programme auf Tonträger: In den 100 Aufnahmen des Labels steht bei über 30 Jansons am Pult. Für den Dirigenten ist es bereits die dritte Einspielung des Stücks, für das Orchester die zweite. Die CD ist also eher ein Souvenir für die Teilnehmer des Live-Events und ansonsten ein weiterer Beitrag zur Interpretationsgeschichte der Alpensinfonie. Darüber hinaus lassen sich dem Album keine über den Moment der Aufnahme hinausweisenden Aussagen entlocken – ist es ein Statement für die heile Welt oder eher ihr Abgesang? Vielleicht ist es bei bewährten Interpreten nicht nötig, nach dem „warum“ zu fragen, wenn die Musik für sich selbst spricht? Aber ohne ein „Darum“ trägt man dazu bei, dass solche Aufnahmen eher Einträge in der Diskographie bleiben, beliebig. Strauss soll mit der Alpensinfonie nichts Geringeres als eine Katharsis beabsichtigt haben, eine symbolische Reinigung durch die Natur. Für all die, die aber schon im Reinen mit sich selbst sind, gilt hier: Popcorntüte auf, Augen zu, Kopfkino an.
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