Von Konrad Bott, 22.04.2016

Wundervoller Klangspuk

Miranda Cuckson und Blair McMillen schaffen ein geisterhaftes Triptychon dreier slawischer Komponisten.

Auf dieser CD stimmt einfach alles. Stückauswahl, Interpretation und Aufnahme wirken so lebendig, dass schon das erste Intervall alle Sinne schärft. Seht her, ich bin eine Septime! Und dann geht es richtig los: Der erste Satz von Bartóks zweiter Violinsonate (molto moderato) klammert sich an den Ohren fest, zwingt den Hörer mit eigentümlicher Schwere, sich auf jeden Ton einzulassen. Die bedächtige, aber keinesfalls schwerfällige Dynamik von Miranda Cuckson und Blair McMillen führt durch die gewundenen Pfade der Bartókschen Musik. Zärtlich flackernde Flageoletts und gravitätische Tastengriffe umgarnen und binden das Hörbewusstsein so stark, dass kein Entrinnen vor dem kraftvollen 2. Satz möglich scheint. Das penetrante Pizzicato beschwört allerlei Fantasiebilder herauf. Es ist eine Art wohlige Klaustrophobie, die man empfindet, wenn der groteske Volkstanz im Sperrfeuer parallel geführter Quinten mündet. So viel klanglicher Druck, bei so viel spielerischem Raum! Cuckson und McMillen präsentieren ihre Stimmen – nicht nur hier – völlig gleichberechtigt.

Dissonante Schockstöße beenden erstickende Kantilenen und beschwören einen nervösen Totentanz herauf.

Die Sonate No.2 (Quasi una Sonata) von Alfred Schnittke steht Bartóks Sonate bezüglich groteskem Auftreten in nichts nach. Sie ist im besten Sinne extrem gespenstisch. So schwankt die zerhackte Tonsprache dauernd zwischen aggressiven Dialogen und parallelen Selbstgesprächen der Instrumente. Introvertiert und in gleichem Maße explosiv erscheint diese einsätzige Sonate, deren innere Struktur nur noch von den morschen Überresten der Sonatensatzform bestimmt ist. Dissonante Schockstöße beenden erstickende Kantilenen und beschwören einen nervösen Totentanz herauf. Plötzlich ergießen sich eisige Tremolo-Splitter des Klaviers in einen voll-pedalisierten Mahlstrom, der ebenso schnell verebbt, wie er auftaucht. Zuletzt durchschießt der schicksalshafte Akkord, der das Stück immer wieder heimsucht, aggressiv das bittersüße Lamento. Kino pur!

Lutosławskis Partita ist anderer Natur. Die Gliederung in fünf wirklich kurze Sätze bestimmt eine episodenhaftere Anordnung als Schnittkes morbider Sonatenspuk. Mit den luftigen Ad Libita atmet das Stück sehr stark, trotz harscher, wechselhafter Harmonik. Im Allegro giusto, dem ersten Satz, verblüffen die Musiker durch extrem exaktes Zusammenspiel. Beinahe merkt man nicht, dass überhaupt zwei Menschen dieses Stück zum wirklich Besten geben. Es scheint so organisch, als führe es ein Eigenleben. „Leichter“ wäre trotzdem eine falsche Bezeichnung für Lutosławskis Werk. Es besitzt eine Dichte, die Cuckson und McMillen eindrücklich zu vermitteln wissen. Ihre konsequente Linienführung lässt die meditativ auf- und aneinander reibenden Melodien intensiv hervortreten. Es ist wirklich auffällig, dass die Stücke einen gemeinsamen klanglichen Nenner haben. Ob es die slawische Herkunft der Komponisten oder die zeitliche Nähe zueinander oder beides ist, ist unerheblich. Fest steht, dass sie wundervoll zueinander passen.



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