Der Kern von Mozarts „Entführung aus dem Serail“ ist relativ überschaubar: Zwei Paare aus jeweils hoher und niederer sozialer Klasse kämpfen für eine gemeinsame Zukunft in Freiheit. Konstanze und ihre Dienerin Blonde, sowie deren Geliebter Pedrillo sind in die Gewalt des morgenländischen Bassa Selim geraten, der Konstanze zur Frau möchte. Konstanzes Verlobter Belmonte versucht die drei zu retten und hat dabei vor allem mit dem Haremswächter Osmin zu kämpfen, der – ganz standesgemäß – scharf auf Blonde ist. Die Paare müssen sich sowohl mit dem kulturell Fremden auseinandersetzen, als auch mit sich selbst und mit dem, was da „Liebe“ heißt. Problematiken, an denen man sich als Regisseur so richtig austoben kann. Was zeichnet einen Liebenden aus? Ist er sich überhaupt bewusst, auf welche Bindung er sich einlässt, wenn er liebt? Inwiefern sollen gerade heute kulturelle Spannungen thematisiert werden? An der Deutschen Oper Berlin hat sich Rodrigo García auf Mozarts tragikomisches Werk gestürzt (Premiere war am 17. Juni) und eine Inszenierung auf die Beine gestellt, die mit ihrer Sozialkritik leider etwas ins Leere läuft.
Dabei werden weder Kosten noch Mühen gescheut: Ein Monstertruck, ein großes Leinwand-Ei mit I-Pad-Übertragungen, nackte Frauen mit Gasmasken und – ganz zentral – eine Crystal-Meth-Küche auf Rädern sind dazu bestimmt, das Publikum konsumkritisch bei Laune zu halten. In der Video-Projektion erscheint Osmin während seiner Arie als Orang Utan, der „Ich hab auch Verstand!“ singt, später verkündet Belmonte mit Batman-Gesicht, er wolle die Befreiung wagen. Die Logos von Megakonzernen wie Coca Cola oder Shell werden mit Bassa Selims Namen präsentiert, und eine nachgestellte Szene aus Stanley Kubricks „A Clockwork Orange“ zeigt Belmonte im Zeitraffer beim Sex mit zwei Frauen. Dabei hängt nicht, wie bei Kubrick, Beethoven, sondern Mozart an der Wand – naja.
Die Dramaturgie scheint nicht weniger zusammenhangslos: Bassa Selim (Annabelle Mandeng) kratzt mit seiner Liebeserklärung an Konstanze an der Dada-Oberfläche, plaudert ein andermal aus dem poetisch-philosophischen Nähkästchen. Derlei Einschübe häufen sich und strecken die Handlung nur, ohne einer erkennbaren Aussage zu dienen. Zu viel Herumgeschraube am geheiligten Original? Nein, eine starke Modifikation kann durchaus auch stark wirken! Aber in Garcías Konzeption liegen zwei Probleme: Zum einen wirken die sozialkritischen Elemente platt, wie aufgeschnappte Parolen einer Demonstration. Zum anderen erschließt sich kaum ein Zusammenhang zwischen ihnen. Allein in der Figur des Haremswächters Osmin zeigt sich – vom Video-Affen mal abgesehen – eine konsequent geführte Idee. Er ist es, der nicht nur die Ankömmlinge mit Misstrauen, ja Hass beäugt, sondern ihnen, da er sich benachteiligt fühlt, ein grausames Ende verschaffen will. Dieser Aktualitätsbezug ist wirklich gelungen!
Aber was ist mit der Musik? Gute Frage, irgendwie gerät sie durch das Ideensperrfeuer der Regie ziemlich in den Hintergrund. Dirigent Donald Runnicles liefert mit dem Orchester der Deutschen Oper eine solide, wenn auch etwas uninspirierte Leistung. Die Sänger geben sich alle Mühe, frischen Wind in die zwar bewegten, aber nicht bewegenden Bilder zu bringen. Kathryn Lewek (Konstanze) – auch im Timing die Beste – verleiht ihrer Sopranpartie knisternde Lebhaftigkeit, die ihr immense Variabilität abverlangt. Tobias Kehrer (Osmin) poltert mit sonorem Bass gegen die Befreiungsaktion von Matthew Newlin (Belmonte), der sich mit James Kryshak (Pedrillo) Wendigkeitsduelle liefert. Ein verzierungsreiches Gesangsspektakel, das alle Achtung verdient, auch wenn die schauspielerische Leistung zu wünschen übrig lässt. Man wird das Gefühl nicht los, dass die Sänger mit der Inszenierung zu kämpfen haben, die leider weder ein Skandal, noch eine Sternstunde ist.
Weitere Vorstellungen:
28. Juni, 1. & 6. Juli, jeweils um 19.30 Uhr
Deutsche Oper Berlin