Von Max Rosenthal, 24.07.2018

Mehr als nur Marke?

Mäzenatentum ist so alt wie die Kunst selbst. Wenn aber ein Großkonzern wie Audi nicht nur als Sponsor, sondern auch als Veranstalter eines Festivals auftritt, hat es ein gewisses Geschmäckle: Was bezweckt das Unternehmen mit den neuen Wegen, die das Festival gehen soll? Wird die Kunst in den Würgegriff der Unternehmenskommunikation genommen? Und: Sollte es in einem Festivalbericht überhaupt immer darum gehen?

Große Firmen prägen oft das Bild ihrer Heimatstädte, da ist Audi in Ingolstadt keine Ausnahme. Zwar mag es anderswo noch wesentlich deutlicher sein, aber ich bin nach zwei Tagen vor Ort überzeugt: Man hätte das hier ansässige Klassikfestival, die „Audi Sommerkonzerte“, wahrscheinlich auch einfach „Ingolstädter Sommerkonzerte“ nennen können, ohne dass im öffentlichen Bewusstsein die Verbindung zu Audi verloren gegangen wäre. Umso mehr, weil sich die Ausrichtung des Festivals gerade im Wandel befindet, man möchte offenbar noch stärker auf das Publikum zugehen.

Alle Wege führen nach Audi

Ruth Schwerdtfeger, künstlerische Verantwortliche und Teil des „Teams Audi Sommerkonzerte“, erläutert im Gespräch die Absicht der Veranstalter: „Es ist uns wichtig, den Menschen hier Kultur auf hohem Niveau und ein lebendiges und vielfältiges Programm zu bieten. Und natürlich den Menschen eine Freude zu machen.“ Dazu schöpft das Festival aus dem Budgettopf des Kulturengagements Audi ArtExperience, das sich der Kulturförderung verschrieben hat. Audi als Spender für die Region? Insbesondere die beiden hochkarätig besetzten Open-Air-Konzerte zum Festival-Auftakt, bei freiem Eintritt und in diesem Jahr in Summe etwa 22.000 Besuchern, nehmen sich schon wie ein ziemlich generöses Geschenk aus. Dazu gab es in den vorher veröffentlichten Programmheften Rezeptideen, um das leibliche Wohl beim Open Air sicherzustellen. Brot und Spiele?

Gewinn, sagt Schwerdtfeger jedenfalls, mache man mit dem Festival keinen. Tatsächlich wurde sogar im Gegenteil 2017 im Donaukurier eine Flaute hinsichtlich Ruf und Verkaufszahlen des Festivals angedeutet. Allerdings bemühte sich schon damals Melanie Goldmann, Leiterin des Kulturengagements der Audi AG, keine Verbindung aufkommen zu lassen zwischen wirtschaftlichen Gründen und angekündigten „Neuen Wegen“, die das Festival einschlagen soll. Der Grund sei vielmehr eine Anpassung an eine sich verändernde Kulturlandschaft. Das bedeutet wohl so viel wie: Qualitätssicherung durch Kursänderung.

Neue Wege – auf das Publikum zu

Das Jahr 2018 geht die ersten Schritte auf diesen neuen Wegen, die Schwerdtfeger genauer beschreibt: Es soll persönlicher werden, das Festival wird als Ort der Begegnung aufgefasst, zwischen den Menschen vor und hinter der Musik, Musikern und Publikum. „Davon lebt ja auch die Musik, wie wir finden.“ In der Praxis scheint es da auf ganz vielen Ebenen vor allem um Kommunikation zu gehen. „Wir wollen mehr auf unser Publikum zugehen“: Es gibt neue Programmhefte, darin Interviews mit den Künstlern, es gibt Anmoderationen und Künstlergespräche. Auch für entsprechende Künstler, Formate und Veranstaltungsorte zeigt das Team um Schwerdtfeger, das bei der Gestaltung freie Hand hat, ein gutes Gespür.

Kopatchinskaja und Kuusisto im MKK Ingolstadt

Wirklich interessant ist beispielsweise das Konzert mit Pekka Kuusisto und Patricia Kopatchinskaja im Museum für Konkrete Kunst (MKK) Ingolstadt, inszeniert von Natascha Ursuliak. Hier können die Besucher zwischen Gemälden und Musikern gleichermaßen umherschlendern, nach der Devise „Musik sehen, Kunst hören“, die Musik passend zur Kunst aus vier Jahrhunderten zusammengestellt.

Das geht großartig auf – nicht jedoch wie konzipiert, weil die Räume im Dienste der Musik abgedunkelt werden, zu dunkel für viele der optischen Illusionen der ausgestellten Bilder. Und lediglich Steve Reichs „Violin Phase“ erzeugt konsequent synästhetische Effekte mit den optischen Illusionen in Werken von Carlos Cruz-Diez. Vielmehr ist es die Aura des Ortes, die so andere Räumlichkeit, die fesselt und auch den Musikern Spielräume für aufregende Zugänge zur Musik gibt. Und damit es nicht zu kantig wird, moderiert Kuusisto durch das Programm. So ist alles irgendwie intimer, mehr Gespräch als Vortrag, ja tatsächlich – persönlicher? Spätestens beim dritten Stück betrachtet keiner mehr, alle lauschen. Für Schwerdtfeger ein Erfolg: „Das Konzert im Museum hat uns gezeigt, dass wir auch mit Formaten, die etwas ungeübt sind, das Publikum begeistern können.“

Zu diesem Erfolg, dieser Nahbarkeit, trägt eben auch die Wahl der Musiker bei, beide neben ihrer künstlerischen Qualität dafür bekannt, nicht unbedingt den Rahmen der Konzertkonventionen oder des ‚heiligen‘ Werks einzuhalten, und so vielleicht Anknüpfungspunkt für Besucher, die neue Zugänge suchen. Eine menschlichere Seite? Kuusisto, Fokuskünstler der Sommerkonzerte 2018 mit einem weiteren Auftritt bei den Open Airs, stand offenbar auch schon sehr früh in der Planung des Festivals fest.

Zugehen – auf ein breites Publikum

„Auf das Publikum zugehen“ heißt aber auch: Jedem etwas bieten. „Das Publikum hier ist sehr vielfältig. Das ist natürlich Grundlage dafür, wie wir die Veranstaltungen planen“, erklärt Schwerdtfeger. Die Bandbreite reicht von Wohnzimmer- über Kammer- zu Sinfonie- und Open Air-Konzerten, es gibt spannende, neue Formate und konventionellere. Ganz anders als die Veranstaltung im MKK präsentiert sich etwa der Abend mit Haydns „Schöpfung“. Die Audi Jugendchorakademie feiert Zehnjähriges, hübsch mit Silberfliegen, Silberketten und dem etwas silberhaarigen Stück, mit dem sie zehn Jahre zuvor ihr Debüt gaben, dabei unterstützt von der Akademie für Alte Musik Berlin und Genia Kühmeier, Werner Güra, Martin Steidler und Matthias Winckhler.

Nun wieder: zeitlos klassisches Repertoire im großen Saal des Stadttheaters, ein Konzert, das aber im Oberstübchen schon nichts mehr rattern lässt, sobald man die Sitzreihe verlassen hat – so gelungen die Umsetzung und die Abstimmung zwischen Chor, Orchester und Solisten auch waren! Auf das „Persönliche“ wird dennoch nicht verzichtet. In der Anmoderation werden anlässlich des Jubiläums all jene Beteiligten vorgestellt, die ein Chor in Proben und Organisation zum Funktionieren so braucht.

Die Festivalkonzeption erreicht also eigentlich ziemlich genau, was sie beabsichtigt. Vielfältig? Check. Allerdings auch auf Kosten schärferer Profilierung. Kunst auf hohem Niveau? Das hängt natürlich davon ab, wie man es definiert, aber prinzipiell auch: Check. Begegnung zwischen Künstlern und Publikum? Schon allein, weil man beim Schlendern durch die überschaubare Innenstadt nicht umhin kann, einander über den Weg zu laufen: Check. Gerade da muss man aber vielleicht vorsichtig sein.

Ein verständlicher Reflex

Der Reflex, klassische Musik nahbarer und verständlicher machen und die Menschen dafür begeistern zu wollen, ist weder neu noch überraschend. Gerade heute, so scheint es, wird an allen Ecken und Enden überlegt, wie man Klassik attraktiver machen kann oder wie sich das junge Publikum begeistern lässt. Insofern hat es schon allein etwas Ehrbares, wenn man sich dessen annimmt, gewinnt doch die ganze Branche daran. Zumal wenn es so viel Zuspruch findet – die Säle sind laut Schwerdtfeger voll, vier Konzerte waren ausverkauft – und dabei künstlerisch interessante Formate entstehen statt einem reinen Who’s Who der Klassik-Prominenz.

„Es ist eine langsame Annäherung, bei der wir unser Publikum natürlich mitnehmen. Und je persönlicher desto besser.“

Ruth Schwerdtfeger, Audi

Nur muss man aufpassen, dass das Mantra des „Persönlichen“ in den nächsten Jahren nicht dazu führt, dass am Ende der respektvolle Abstand verloren geht, den Kunst braucht, um für sich etwas aussagen zu können. Sehr schnell geht es dann beispielsweise mehr um die Künstler als um die Kunst. Ich persönlich will auch nicht immer, dass mir jemand erklärt, was ich zu hören habe – das soll die Musik selbst tun können. Und ein bisschen Distanz zum Veranstalter könnte vielleicht ebenfalls nicht schaden.

Denn dass so eng am Publikumsinteresse zu agieren natürlich eher wie ein Marketing- statt ein künstlerisches Konzept wirkt, muss man nicht eigens erwähnen. Das Zeichen der Vier Ringe stellt den Output dahingehend schnell unter Generalverdacht. Und deshalb kommt, auch wenn man das Gefühl hat, dass hier Veranstalter mit guten Ideen und Freude arbeiten, ein solcher Festivalbericht nicht umhin, die Unabhängigkeit der Kunst fortwährend kritisch zu hinterfragen. Vielleicht würde es schon etwas Abhilfe schaffen, nicht ständig mit Firmennamen und omnipräsentem Corporate Design bombardiert zu werden. So prangt einem auf der Facebook-Seite des Festivals als Profilbild einzig das Audi-Logo auf schwarzem Grund entgegen. Das allein macht aber nur mäßig Lust auf Klassik, wie sie dort geboten wird. Dabei könnte einiges im Programm ganz gut für sich selbst einstehen.

Die Audi Sommerkonzerte

Gegründet wurden die Audi Sommerkonzerte 1990 als „Sommerkonzerte zwischen Donau und Altmühl“ in einer Kooperation mit dem Bayrischen Rundfunk, mit dem gemeinsamen Ziel, das kulturelle Angebot der Region in und um Ingolstadt zu bereichern. Seit 2004 wird das Festival nur noch von Audi und vor allem in Ingolstadt selbst veranstaltet und war stets mit Prominenz der Klassik-Branche bestückt: Yehudi Menuhin, Daniel Barenboim, die Wiener Philharmoniker, Simon Rattle oder Anne-Sophie Mutter zum Beispiel, sowie in den Jahren 2014 bis 2016 Kent Nagano, der dort das „Vorsprung“-Festival aus der Taufe hob. Außerdem bekommt das Festival seit 1994 regelmäßig Besuch vom Gastspiel der Salzburger Festspiele, die Audi ebenfalls unterstützen. Aktuell werden die Konzerte noch von einem vierköpfigen „Team Audi Sommerkonzerte“ geplant, aber ab 2019 soll Lisa Batiashvili als künstlerische Leiterin dem Festival für zwei Jahre ihren persönlichen Stempel aufdrücken, ähnlich wie Kent Nagano mit dem „Vorsprung“-Festival. Schwerdtfeger lässt anklingen, dass sie bei der Gestaltung der Konzerte künstlerische Freiheit genießt.

Die Konzerte finden dieses Jahr vom 13.-28. Juli statt. Das Programm besteht neben den beiden Auftritten von Fokuskünstler Pekka Kuusisto aus großen und kleinen Formaten mit bekannten Klassik-Interpreten (Fazıl Say, Nikolai Lugansky, Patricia Kopatchinskaja, Sol Gabetta, Cameron Carpenter) und einigen Nachwuchs-Künstlern (Santtu--Matias Rouvali, Schumann-Quartett, Audi Jugendchorakademie).

© AUDI AG
© Max Rosenthal


    NIUSletter

    Bleibt auf dem Laufenden und erhaltet alle drei Wochen unseren NIUSletter.