#jubileo

Berühmte Kinder der Stadt – Fluch oder Segen? Wie Orte versuchen, das Image ihrer Komponisten für ihre Bekanntheit zu nutzen, beleuchten wir am Beispiel der Augsburger Aktivitäten rund um Leopold Mozarts 300. Geburtstag.

Von Konrad Bott, 25.04.2019

Wen interessiert’s?

Vor 300 Jahren wurde Leopold Mozart in Augsburg geboren und kehrte seiner Heimat bald den Rücken. Trotzdem nennt sich Augsburg seit Jahren vollmundig „Deutsche Mozartstadt“. Das Team des Augsburger Mozartfests räumt mit Marketinglügen auf und schafft Leopold ein neues Image. Ein Ortsbesuch.

Leopold Mozart ist nicht unbedingt der feuchte Traum einer Marketingabteilung. Sein Image: passabler Komponist, fähiger Lehrer, griesgrämiger Vater des Genies Wolfgang Amadeus, Ende. In Augsburg stellt sich Simon Pickel dieses Jahr, zum 300. Geburtstag Leopolds, die Frage: Wie schaffen wir es, Leopold und Augsburg zu feiern? Und warum will man das eigentlich? Seit Simon 2016 Leiter des Mozartfests geworden ist, stemmt er den gesamten Betrieb in Eigenregie mit nur drei Mitarbeiterinnen. Eine der drei, Angelika Man, sitzt mit am Tisch im verwinkelten Café Kätchens, in dem irgendwie jeder jeden kennt. Die beiden gehören zu jenen Menschen, gegenüber denen ein „Sie“ als Anrede absurd, viel zu abweisend erscheint. Sie wirken so gar nicht wie der Herr Intendant und seine Pressetante – Sandkastenfreunde könnten sie sein, wie sie die Sätze des jeweils anderen beenden, ihre Ideen zur Diskussion stellen, synchron lachen.

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Berühmte Kinder der Stadt – Fluch oder Segen? Wie Orte versuchen, das Image ihrer Komponisten für ihre Bekanntheit zu nutzen, beleuchten wir am Beispiel der Augsburger Aktivitäten rund um Leopold Mozarts 300. Geburtstag.

„Das Label Mozartstadt war über viele Jahre hinweg eine glatte Marketinglüge“, stellt Simon mit seinem breiten mittelfränkischen Akzent fest. „Wenn einer der musikalischen Mozarts einen Bezug zu Augsburg hatte, dann nur Leopold. Und der hat mit seiner Heimat gebrochen.“ Nicht trotzdem, sondern gerade deshalb müsse man sich auf der Suche nach einer Verbindung der Stadt zum Namen Mozart genau mit dem Leben und Wirken Leopolds befassen. Schnell wird klar, dass es nicht nur darum geht, Augsburgs Image als Komponistenstadt aufzubauen. „Ganz ehrlich, die Musik von Leopold Mozart war in seiner Zeit ganz gut, ist aber echt nichts Außergewöhnliches. Das muss man auch nicht leugnen, weil der Mann als personifiziertes Zeitzeugnis interessant genug ist.“

Festivalleiter Simon Pickel im Interview

Touché: Nicht nur musikhistorisch ist die Lebenszeit Leopold Mozarts, also die Mitte des 18. Jahrhunderts, ein seltsam bewegtes Kapitel mitteleuropäischer Geschichte. Eine stille Neuorientierung von Ständen, Konfessionen, Wirtschaft und Wissenschaft, in der Augsburg als konfessionell paritätische Industrie-, und Handelsmetropole eine zentrale Rolle spielt. Leopold Mozart ist es, der sowohl in seiner Heimat als auch während seiner Reisen durch Europa seine scharfen Beobachtungen und kuriosen Entdeckungen zu Papier bringt, aufbewahrt, verbreitet: Wie funktioniert ein Wasserklosett? Wie schmeckt eine Wassermelone? Die humanistische Bildung und sein Status als Bürger einer freien Reichsstadt sind es, die sein Bewusstsein als Zeuge seiner Zeit schärfen. Grund genug für Simon Pickel, Leopold Mozart in Augsburg als Marke von seinem omnipräsenten Sohn zu emanzipieren.

Bei der Imagebildung der „Leopold-Mozart-Stadt“ geht es Simon und seinen Mitstreiterinnen offensichtlich darum, den Genuss von Musik – nicht nur Mozart – mit Geschichtsverständnis zu kombinieren und so letztlich auch das Selbstbewusstsein der Augsburger Bevölkerung zu stärken. „Augsburg ist eine wunderschöne sympathische Stadt, die sich selbst viel zu sehr als kleinen hässlichen Bruder von München wahrnimmt“, betont der Festivalleiter, „das führt zu einer paradoxen Haltung. Auf der einen Seite glaubt man hier, dass Augsburg mit seinem Kulturangebot nach außen sowieso nicht mit anderen bayerischen Städten mithalten kann, auf der anderen Seite ist alles, was in Augsburg stattfindet nur dann geil, wenn es aus Augsburg kommt.“ Um diesen käfigartigen Selbstschutz aufzubrechen, will die Mozart-Truppe zwei parallele Wege beschreiten, wie Angelika erzählt: „Wir müssen es einerseits schaffen, Kulturinteressierte aus Augsburg auf unser Programm neugierig zu machen, wir müssen aber auch dringend Fans von außerhalb gewinnen. Eine Art Abo-Publikum mit der Haltung ´Zum Mozartfest komm ich, weil der Simon das Programm so toll gestaltet´.“

„Das Publikum ist fremden Ensembles gegenüber misstrauisch.“

Angelika Man

Tatsächlich gelingt es Simon Pickel auch dieses Jahr, hochkarätige Musiker für das Festival zu gewinnen: Alexander Melnikov, Die Akademie für alte Musik Berlin, Isabelle Faust, Il Giardino Armonico und viele andere – für den kleinen Geldbeutel des Festivals erlebt man hier ab dem 11. Mai ein erstaunliches Billing. „Aber man glaubt das gar nicht“, grinst Angelika und lehnt sich über den Tisch, „das Augsburger Publikum ist an seine Bayrische Kammerphilharmonie gewöhnt und anderen Ensembles grundsätzlich misstrauisch gegenüber. Ein Kammerphilharmonie-Fan kam letztes Jahr nach einem Konzert auf mich zu und meinte nur ´Man muss ja gucken, was die Konkurrenz so macht´“, sie lacht, „Und das meinte der wirklich ernst!“ Deshalb spielt dieses Jahr zumindest der Geiger Christian Tetzlaff auch mit den lokal so beliebten Augsburger Philharmonikern.

Während in Salzburg die „Marke Mozart“ ein zum Teil fragwürdiger Selbstläufer geworden ist und das Mozartfest in Würzburg seit Jahrzehnten auf einen treuen Fanclub bauen kann, muss das Festival zu Ehren Leopolds sich peu à peu am eigenen Zopf aus dem Morast des Nicht-gesehen-Werdens ziehen. Erklärt sich so die Diskrepanz zwischen dem feinfühlig gestalteten Inhalt und den schrillen Werbestrategien am Rande der Peinlichkeit? Ein wasserstoffblonder Leopold Mozart geistert in Augsburg herum, eine Straßenbahn hat Simon Pickel in der Farbe des Festivals, einem schreienden Magenta, bedrucken lassen, es gibt Leopold-Brot, Leopold-Schokolade und Leopold-Gin.

„Da bin ich dann doch pragmatisch. Wir müssen einfach erst mal gesehen werden, und am Jubiläum kann man sich so was als Zäsur schon mal erlauben“, erklärt der Festivalleiter, „einen Flyer, wo ´Mozartfest´ drauf steht, nehmen ohnehin nur die wahr, die sich sowieso für Musik begeistern. Und Plakatflächen gibt es in Augsburg kaum, höchstens schäbige Stellwände bei städtischen Veranstaltungen. Nein, da ist die Zusammenarbeit mit regionalen Betrieben und Einrichtungen schon wirksamer und ehrlicher.“ Außerdem sind die käuflichen Produkte nur ein Teil von dem, was der arbeitsame Kopf der Mozart-Truppe auf die Beine gestellt hat: Eine kleine aber sehr feine Sonderausstellung im Textilindustriemuseum ist entstanden, welche die Mode zu Leopold Mozarts Zeit zugänglich macht, außerdem das Projekt „MozartBloggt“ am Maria-Ward-Gymnasium, bei dem Schülerinnen gemeinsam mit einem Blogger und einem Mediengestalter aus ihrer Sicht ungefiltert über Mozart berichten. Bis jetzt wird er regelmäßig bespielt.

„Ein Caipiriña-Stand neben dem anderen ...“

Simon Pickel

„Wir müssen als Veranstalter irgendwie eine Brücke zwischen guter Kulturarbeit und offensivem Marketing bauen. Hier in Augsburg ist das leider noch unheimlich strikt getrennt – das Kulturamt und die städtischen Vermarkter setzen nicht die gleichen Prioritäten“, stellt Angelika fest, und Simon ergänzt: „Manchmal habe ich das Gefühl, dass sommerliche Trink- und Werbeveranstaltungen, wo sich ein Caipiriña-Stand neben den anderen reiht, eher als Plus für ein Stadtimage gelten als kulturelles Erbe. Das sollte nicht sein.“
Auch in der Welt der Augsburger Kulturschaffenden existiert laut den beiden eine Angst, sich gegenseitig das Publikum streitig zu machen. Besser wäre es, zusammen zu arbeiten und die Außenwirkung der Stadt zu stärken. Mit nur zwei Vollzeit- und zwei Halbtagsstellen geht die Festival-Crew diese ehrenvolle Arbeit an. Und wen interessiert`s? Das wird sich bald zeigen.

© Mozartstadt Augsburg / Fabian Schreyer
© privat


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