Peter Imig
niusic: Was war die Grundidee von „Ballet Jeunesse“?
Imig: Lass mal was machen mit diesen klassischen Werken, die da immer so rumliegen und die keiner mehr kennt. Die wollen wir uns mal vornehmen. Was ist das für Musik? Wir machen sehr viel Musik in allen möglichen Ecken, aber diese klassische Musik, die kennen wir eigentlich gar nicht mehr selber. Wir haben da gar keine Verbindung mehr. Lass uns das mal angucken. Wir haben dann das Repertoire nach 1910, diese Aufbruchsjahre, die Zehnerjahre angeschaut. Das ist unser Kernrepertoire. Da hat uns was erwischt, was uns interessiert.
Arfmann: 2005 gab es ja die „Recomposed“-Serie von der Deutschen Grammophon. Wir haben mit dem gleichen Team, mit dem wir jetzt „Ballet Jeunesse“ gemacht haben, die „Recomposed“-Serie eröffnet. Das war damals eine Anfrage der Plattenfirma, ob ich mir vorstellen kann, Karajan-Werke mal ein bisschen anders zu machen. Es war jetzt keine Auftragsproduktion, sondern eher eine Frage, die aber schon von der Plattenfirma kam. Und danach, also zwischen 2005 und 2009, habe ich viel an diese spannende und fordernde Zeit zurückgedacht und beschlossen, „Ballet Jeunesse“ zu machen.
niusic: Fordernd?
Arfmann: Na ja, man muss ja mit dieser Last umgehen. Bei der klassischen Musik ist eine unsichtbare, schwere Last hinter einem – die Musikgeschichte, die Qualität der Musik und dieser Wahnsinn, unsere Hochkultur eben. Da hat man Angst, dass man diesen riesigen Respekt nicht ablegen kann und ganz frei an die Sachen herangehen kann. Das blieb mir von „Recomposed“ in Erinnerung. 2009 habe ich mir dann gedacht: ‚Ok, Ballettwerke, warum nicht?‘. Dann habe ich erst einmal ganz alleine eine Demoversion von „Romeo und Julia“ gemacht. Danach hat der damalige CEO Christian Kellersmann gesagt, dass wir das niemals durchkriegen werden, obwohl er die Idee super fand. „Le sacre du printemps“ zum Beispiel, meinte er, sei eine heilige Kuh. Ich wollte dann aber nicht aufgeben. Und dann habe ich erst einmal ohne Plattenfirma weitergemacht.
niusic: Also doch keine Auftragsproduktion.
Arfmann: Ich habe ohne konkreten Auftrag angefangen, nur, weil ich es wollte. Ich wusste auch schon, dass ich, wenn ich mit dem selbstfabrizierten Werk dann rauskomme, damit kein Geld verdienen werde. Das hat mit den Rechten zu tun, die ganz viele Leute daran noch besitzen, die dann kassieren. Das war mir aber von vornherein scheiß egal. Ich wollte es einfach machen.
niusic: Die Rechte zu bekommen dürfte ein ziemlicher Kampf gewesen sein?
Arfmann: Wir haben etliche Antwortschreiben bekommen, die so schon in irgendeiner Schublade lagen. Man hat sich nicht die Mühe gemacht, uns persönlich zu antworten. „Wenn sie die Aufnahmen von uns sampeln sollten und ins Netz stellen werden, dann werden wir Sie verklagen“.
Imig: Und scheinbar kennen die sich alle. Der letzte Satz war immer: „Von weiteren Anfragen bitten wir Sie abzusehen.“
Arfmann: Deshalb haben wir dann ja auch eine eigene Aufnahme gemacht und nichts Bestehendes gesampelt. Sonst wäre das eh nicht gegangen.
niusic: Und ältere Werke zu nehmen, oder ältere Aufnahmen, kam für euch nicht in Frage?
Arfmann: Ne. Wir wollten exakt diese Werke. Wenn wir zum Beispiel Prokofjew nicht bekommen hätten, dann hätten wir es auch gelassen.
niusic: Aber der Prokofjew und der Ravel sind ja nicht vom Babelsberger Orchester eingespielt …
Imig: „Peter und der Wolf“ von Sergei Prokofjew ist von den Wiener Philharmonikern unter Karl Böhm eingespielt worden und „Daphnis et Chloé“ von Maurice Ravel von den Berliner Philharmonikern unter Pierre Boulez. Da gab es hier im Haus wohl noch irgendeinen Vertrag, wo festgehalten wurde, dass die Deutsche Grammophon mit dieser Aufnahme auch einen Fernsehjingle unterlegen darf. In manchen Verträgen steht das drinnen. Und „Daphnis et Chloé“ ist auch so unbekannt. Das kennt wirklich keine Sau. Deshalb durften wir das verwenden.
niusic: Es bringt kein Geld, man hat mit dem Apparat der Hochkultur zu kämpfen, es ist Arbeit ohne Auftrag. In der Zeit hättet ihr ja zehn Dinge produzieren können, die mehr Geld bringen. Warum habt ihr es gemacht?
Imig: Wir hatten Spaß. Es hat unsere Freundschaft auch gestärkt. Wir haben sehr viel und sehr gerne zusammen daran gearbeitet. Und dann haben wir die Parallelen von 1910 zu heute gesehen: die Technikbegeisterung. Damals fing die Fliegerei an, die Autos, die Maschinen, die Fabriken. All das hat damals begonnen. Und diese Besessenheit von der Neuheit der Zeit, die sehe ich heute wieder durch diesen Computerhype, diese Handywahnsinnigkeit. Da sehe ich ganz starke Parallelen.
Arfmann: Und weil es einen einfach umhaut, wenn man vor guten Lautsprechern steht mit einem riesigen Subwoofer, der eigentlich in ein Kino gehört, und man hört die klassische Musik in der neuen Dramaturgie und zusammen mit den eigenen Ergänzungen. Das sind Veränderungen, wo wir zum Beispiel einen Sinusbass drunter gelegt haben, der eigentlich was mit Dub zu tun hat, oder die Ergänzungen der Sängerin Onejiru Schinder, die selbst Texte geschrieben hat, die ihre eigene Migrationsgeschichte öffnen. Dann hat die Musik auch wieder was mit dem Hier und Jetzt zu tun. Deshalb haben wir das gemacht.
Matthias Arfmann
niusic: Was sagt mir denn „Ballet Jeunesse“, was mir die unberührten alten Werke nicht sagen können?
Imig: Ich sehe das gar nicht inhaltlich, sondern einfach nur von dem, wo es stattfindet. Wir wollen neue Orte bespielen. Das ist das, was die „Yellow Lounge“ der Deutschen Grammophon probiert.
niusic: Artet das nicht automatisch in Häppchenkultur aus?
Imig: Das kann man uns sicher auch vorwerfen. Wir haben ja auch diese Sample-Geschichte mit den ziemlich kleinen Aufmerksamkeitsspannen. Wir glauben aber, dass das Sinn macht. Eine „Romeo und Julia“ auf vier Minuten zu kürzen, macht für uns Sinn, weil wir eben damit in diese Orte reinkommen. Wenn wir ne „Romeo und Julia“ auf dreißig Minuten machen, dann kommen wir nicht mehr in diese Orte rein. Diese Jugendorte, die Clubs, sind dann alle zu für uns.
niusic: Also geht es um Verjüngung?
Imig: Na ja, da hängen mittlerweile ja auch Fünfzigjährige rum. Es geht eher darum, dass man die alternativen Orte mit Klassik bespielt.
Arfmann: Ich glaube, dass die klassische Musik sich ausfadet bei jüngeren Leuten. Die dauert einfach zu lang. Die sind alle so unruhig. Das ist ja auch bei dem Text von Schorsch Kamerun beim „Säbeltanz“ von Aram Khatchaturian auf der Platte zu hören. Das ist neu, dass Schorsch in einem Stück klassischer Musik darüber sinniert, warum sie es so schwer hat. Der Text ist vor allem neu.
Imig: Aber neu ist auch, dass wir zum Beispiel den einen Takt von Strawinski wiederholen und er dadurch anders wahrgenommen wird. Der „Feuervogel“ geht so schnell vorbei, dass man das gar nicht hört. Wenn man diesen Takt 3 achtmal hintereinander hört, dann kann man den nochmal anders wahrnehmen.
niusic: Aber was ist das eigentlich genau, was ihr da gemacht habt? Remix, Recomposed, Sampling, Crossover?
Arfmann: Ich weiß es nicht. Vielleicht ist der beste Begriff „Spielart“. Es ist kein Remix. Und dieses gruselige Wort „klassische Crossovermusik“ ist es sicher auch nicht. Das ist das Schlimmste für mich. Wenn mir jemand sagt, dass ich jetzt „klassische Crossovermusik“ mache, dann gehe ich in den Keller und komme erst einmal tagelang nicht mehr raus.
niusic: Was ist denn das Schreckliche am Crossover?
Imig: Ist halt ne Schublade geworden, die nicht gefüllt ist mit Inhalt, sondern mit rosa Tüll.
Arfmann: Und großen Nebelmaschinen. Da ist dann ein großer Föhn vor dem Geiger. Das ist das schreckliche an Crossover. Das ist einfach unfunky. Deshalb habe ich mich für „reworked“ entschieden. Die GEMA – der größte Schutzpatron der Musiker – nennt das Bearbeitung, manche nennen das Interpretation. Was ist es denn für dich? Geht da wirklich die David-Garrett-Schublade auf?
niusic: Ja, zugegeben, sie ist aufgegangen.
Arfmann: (lacht) Neeeeeein.
niusic: Ich höre klassische Musik, weil die mir das gezielt Andere bietet, das Lange, das Mühsame, das Nicht-Handywahnsinnige. Ihr liefert halt das, was die Leute wollen. Warum keine 30-Minuten „Romeo und Julia“-Version?
Imig: Wir würden das gerne tun, aber will ja keiner haben.
Arfmann: Wir haben darüber nachgedacht. Im Laufe dieser sieben Jahre ist einiges passiert. Wir haben jetzt auch endlich eine Plattenfirma. Wir hatten davor die Jahre ja keine. Es ging nur darum, dass wir es machen wollen. Und: Ich würde es immer wieder genau so machen, wie es jetzt ist. Ich bin mit den Versionen zufrieden.