Von Anna Vogt, 05.09.2016

Ohne Weichspüler

Brahms´ drei Streichquartette und sein Klavierquintett schweben zwischen Himmel und Hölle. Von ihren Interpreten erfordern sie: einfach alles.

Wie düster! Das Cover des neuen Albums des Belcea Quartet gibt sich ziemlich dunkel, auch die vier Musiker darauf sind nicht gerade farbenfroh gekleidet. Doch zumindest umspielt ihre Gesichter ein vorsichtiges Lächeln. Ist denn das neue Brahms-Projekt so bitter ernst? Das Belcea Quartet, benannt übrigens nach dem Nachnamen der ersten Violinistin Corinna Belcea (gesprochen: „Beldscha"), hat schon mehrfach bewiesen, dass es keine Angst hat vor großen Musik-Brocken und den damit verbundenen großen Gefühlen: Die gesamten Streichquartette 117 von Beethoven hat das Quartett schon aufgenommen, alle sechs Bartók-Quartette und die Schubert-Quartette. Jetzt also alle drei Brahms-Quartette plus das Klavierquintett, auf einem gehaltvollen Doppelalbum von fast 150 Minuten Gesamtdauer. Kein Repertoire zum Nebenbei-Hören – vor allem nicht in dieser Interpretation.

  1. Sitzen vier Musiker zusammen und spielen … nein, nicht Karten, sondern ein Quartett. Die kleine Form ist flexibel und klingt trotzdem ausgewogen. Vor allem das Streichquartett gilt unter Komponisten als Königsdisziplin. Viele nutzten sie als Experimentierwerkstatt, in der sie bahnbrechende Ideen im Kleinen ausprobieren konnten. (AJ)

Das Holz bebt und kracht. Brahms ist körperliche Schwerstarbeit.

Brahms tüftelte und bastelte lange an seinen Quartetten, verwarf viele und zögerte immer wieder mit der Veröffentlichung. Nur drei Quartette schafften es schließlich ans publizistische Tageslicht, und die gehören zum Schönsten, Komplexesten und Schwierigsten, was das Genre zu bieten hat. Vor allem die Rhythmik mit ihren feinen Verschiebungen und Verzahnungen lässt manch weniger versiertes Quartett ganz schön ins Schleudern kommen. Nicht so das Belcea Quartet: Mit traumwandlerischer Sicherheit meistert es die vielen technischen Tücken dieser auch intonationsmäßig oft so heiklen Musik. Daher können sich die Musiker dann ganz dem Auskosten der atmosphärischen und emotionalen Extrem widmen, die vom dunkelsten Seelensturm bis hin zur paradiesischen Idylle reichen. Dass gerade die Kammermusik 120 von Brahms auch körperliche Schwerstarbeit für die Musiker bedeutet, wurde hier zum Glück auch aufnahmetechnisch nicht weichgespült. Immer wieder beben und krache die Saiten und man hört das Holz der vier Instrumente arbeiten, als ob es bersten müsse, vor allem in den Kopfsätzen der ersten beiden Quartette. Eine tolle, echte Kraft, Gewalt und Erdigkeit im Grenzbereich zum Hässlichen: Musik ist schließlich nicht immer nur Schönklang.

  1. Ursprünglich wurde sie tatsächlich in Kammern gespielt, nämlich in den Privaträumen von Fürsten und Königen. Deshalb spielen in Kammermusik-Werken nur wenige Musiker, zum Beispiel als Streichquartett, Bläseroktett o.ä., zusammen. Bürger des 19. Jahrhunderts entwickelten aus der höfischen Elitekunst ihre Hausmusik, wie z.B. die „Schubertiaden“, die im kleinsten Kreis vor ausgewähltem Publikum stattfanden. (AJ)



So lebt diese Doppel-CD durch ihre Kontraste: Denn vor allem in den langsamen Mittelsätzen strahlt der Himmel (oder der Seelenfriede) umso heller und wohltuender hervor, je dunkler zuvor die Tragik tobte oder die Melancholie schwelte. Mit wenig Vibrato und dem Verzicht auf allzu pathetische Klangwolken unterstützen die Musiker diese klare, ätherische Dur-Seligkeit. Im Klavierquintett mit Till Fellner empfindet man dann den zusätzlichen Klavierpart zunächst fast als Störenfried, nachdem man sich schon so an den perfekt austarierten reinen Streicherklang gewöhnt hatte. Doch auch hier geht es sofort in die Vollen: In der größeren Besetzung und damit im dichteren Klang werden die Extreme, zwischen denen Brahms´ Musik beständig changiert, noch deutlicher spürbar in einer Intensität, die alle fünf Musiker gemeinsam erschaffen. Ein Gefühlsstrudel, dem man sich gerne hingibt.


Johannes Brahms

Streichquartette, Klavierquintett

Belcea Quartet, Till Fellner

alpha

© Marco Borggreve


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