Von Christopher Warmuth, 26.08.2016

Bach im Knast

Wir lieben unsere Helden der Vergangenheit. Johann Sebastian Bach ist definitiv ein Nationalheld, seine Musik wird vergöttert. Doch es gibt da ein paar Details in Bachs Leben, die kaum jemand mit „Hochkultur“ in Verbindung bringen würde. In der vermeintlich elitären Klassik-Szene gibt es keine Ausfälle wie von Haftbefehl und Bushido. Oder doch?

Johann Sebastian Bach ist ein Knasti. Während der vier Wochen, die er in Weimar eingesperrt war, arbeitete er weiter am „Wohltemperierten Klavier“. Das wurde lange in den Biografien der Vergangenheit verschwiegen. Wie soll es auch ins Bild eines Nationalheros der deutschen Musik passen, dass dieser im Gefängnis war. „Halsstarrigkeit“ lautete der offizielle Grund, der zum Arrest von Bach führte. Man meinte damit wohl vor allem den Starrsinn, die Dickköpfigkeit und den Widerwillen, den Johann Sebastian Bach seinem Arbeitgeber Herzog Wilhelm Ernst entgegen brachte.

Bach war gekränkt, weil Herzog Ernst die neue Stelle als Weimarer Kapellmeister nicht ihm, sondern Georg Philipp Telemann angeboten hatte. Was für eine Frechheit! Bach hatte fast zehn Jahre im Dienste in Weimar beste Arbeit geleistet: Fugen 47 , Kantaten und „Das Orgelbüchlein“ sind dort entstanden. Aber Wilhelm Ernst betrachtete Bach eher als Lakaien und zog Telemann vor. Es folgte ein förmlicher Brief, den der Herzog ignorierte, und auch eine Privataudienz wurde abgesagt. Das Hin und Her gipfelte darin, dass Bach kein Notenpapier mehr geliefert wurde. Das wiederum war dann zu viel.

Bach fand einen neuen Gönner: Fürst Leopold von Köthen. Der liebte Bachs Musik, umschmeichelte ihn mit Wertschätzung und wollte ihn in den Rang eines Hofoffiziers erheben. Das bedeutete mehr Geld, mehr Ruhm, mehr Bauchpinselei. Das gefiel Johann Sebastian Bach, er setzte sich über das geltende Recht hinweg, als er mit Fürst Leopold einen Vertrag abschloss, ohne überhaupt den alten aufgelöst zu haben. im 18. Jahrhundert entwickelte sich ein solches Verhalten schnell zu einem Politikum, Herzog Ernst musste Bach in die Schranken weisen und stellte ihn unter Arrest.

  1. Was für eine barocke Rollenverteilung! Der Dux schreitet ins Stück, er übernimmt die Führung, bis der Comes sein Thema aufnimmt und sich mit der vorgestellten Melodie unter ihn schichtet, während der Dux fortfährt. Beide können nicht ohne einander und nähren sich vom anderen. (CW)

„eod. die 6. Nov. (1717) ist der bisherige Concert-Meister und Hof-Organist Bach wegen seiner Halsstarrigen Bezeugung und zu erzwingenden Dismission auf der Land Richter-Stube arretieret und entlich den 2. Dezember darauf mit angezeigter Ungnade ihm die Dismission durch den Hofsekretär angedeutet und zugleich des arrests befreiet worden.“

Theodor Benedikt Bormann, Weimarer Hofsekretär

Zum Glück war der Köthener Arbeitgeber vernarrt in Bach. Er und König August der Starke setzten sich vehement für Bachs Freilassung ein. Johann Sebastian Bach wurde nach vier Wochen Gefängnis „in Ungnade“ entlassen, was ihn wenig gekümmert haben dürfte. Dabei konnte er von Glück reden, dass es zu einer Freilassung gekommen war. Der Waldhornist Adam Andreas Reichardt dagegen, den Ernst August mehrfach wegsperrte, wurde bei jeder Freilassung zu einhundert Stockschlägen verurteilt. Als Reichardt fliehen konnte, schlug Ernst brutal zurück, erklärte ihn für „vogelfrei“. Reichardt wurde erhängt.

Noch vor dem Amtsantritt in Köthen erhielt Bach dagegen bereits 50 Gulden. Einfach so. Weil Fürst Leopold es konnte und wollte. In Köthen beendete er das „Wohltemperierte Klavier“, an dem wir uns heute so erfreuen. Vielleicht sollten wir bedenken, wenn wir ex post Komponisten in den Götterstatus erheben, dass auch Götter sich bisweilen über das Recht hinwegsetzen können und nicht immer eine weiße Weste haben. Bach ist ein Knasti – Das ist so real wie seine Musik.



© Elias Gottlob Haussmann


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