Felix M-endelssohn und Wolfgang Amadeus M-ozart könnte man musikalisch in eine Schublade stecken (wie Robert Schumann das getan hat). Im Vergleich zu Ludwig van B-eethoven oder Johannes B-rahms ist sie so entkrampft, so natürlich, so organisch, dass man meint, das alltägliche Leben zu hören. Während die beiden Bs relativ fest in ihrem Kompositionsgerüst herumkraxeln und mit einem Fingerzeig philosophisch komponieren, steigen die Ms herab und machen Faxen. Aber auch der beste Vergleich hinkt: Mozart legt sich auf seinen Billardtisch, mit der einen Hand die Kugel rollend, mit der anderen Musik schaffend und korrigiert danach selten seine Werke. Meistens ist er zufrieden. Mendelssohn – das Gegenteil – überarbeitet, schraubt und ist danach noch unzufrieden. Seine vierte Sinfonie ist dafür der größte Beweis. Was für eine Schwerstarbeit!
Die Fassungen dieser Sinfonie stiften noch bis heute Verwirrung. Antonello Manacorda und die Kammerakademie Potsdam haben die erste Fassung der Vierten zusammen mit der ersten Sinfonie eingespielt. Während dieses Frühwerk – Mendelssohn war fünfzehn Jahre alt – deutlich der Vergangenheit frönt, besitzt die Vierte viele Gesichter und ist kaum auf eine Zeit festzunageln. Mendelssohn verwebt, was ihm gerade passt und was er braucht, um Musik zu kreieren, die nicht nur in einer musikhistorischen Epoche argumentiert, sondern zurückschaut, um nach vorne zu gehen. Antonello Manacorda schafft einen frischen, jugendlichen Mendelssohn, der vor Esprit nur so überschäumt. Das Orchester hat sich in die Details verliebt. Die riesenhaften Phrasen, die bei Mendelssohn nie enden wollen, werden in einzelne dramatische Elemente unterteilt, die Höhepunkte werden herausgestellt, und so ist es egal, ob man mit dem Ohr herauszoomt oder sich an den Miniveränderungen erfreut. Es ist fantastisch, welche unterschiedlichen Wege Manacorda beschreitet, um Dynamik 42 auszudifferenzieren: Hier wird es nicht „einfach nur“ laut, sondern er hangelt sich von Höhepunkt zu Höhepunkt, verbindet diese mit konstanter Kraft oder stufenweise, manchmal kombiniert er das. Alles pulsiert, manchmal energetisch drängelnd, manchmal sich am Leid labend, und so entsteht ein Lebewesen: die Musik von Mendelssohn.
In dieser Schublade schlummert sehr viel: Die Lehre der Dynamik hat alles unter ihrer Kontrolle, was mit Lautstärke zu tun hat. Egal ob fließende Veränderungen, einheitliche Stufen oder abrupte Veränderungen der Lautstärke. Ein bisschen Italienisch schadet da nie, jedenfalls bei alter Musik. Viva il volume! (CW) ↩