Evgeny Nikitin spielt schon auf dem Cover seiner ersten Wagnerplatte mit Vergangenem. Aus seiner Lederjacke blitzt der tätowierte Unterarm hervor. Das ist ein Seitenhieb, beleuchtet er doch genau das, was zum Bruch mit dem Wagnerclan geführt hat. Ein tellergroßes Tattoo einer Swastika entzündete die alljährlichen Personalumbesetzungen kurz vor Festivalrummel. Nazi-Symbolik schickt sich am Hügel nicht mehr, selbst wenn die Jugendsünde kein Ausdruck rechten Gedankenguts war, sondern im damaligen Russland das Nonplusultra politischen Protests. Nikitins Karriere schadete all das nicht.
Das Eröffnungswerk der Platte ist „Der Fliegende Holländer", Backpfeife Nummer Zwei, denn aus dieser Rolle wurde der Sänger in Bayreuth enthoben. Dirigent Christian Arming und das Orchestre Philharmonique Royal de Liège jagen klinisch durch Wagners Werk: Das Meer tobt und tost bitterkalt, die Aura des Grals im Lohengrin irisiert sich bis zum Ultimum, und der Trauermarsch der Götterdämmerung wird zum martialischen Bekenntnis. Nikitin nimmt das Orchester an die Hand, zeigt, dass Zurückhaltung eine geniale Lösung ist. Er arbeitet die Kehrseite der Figuren heraus und macht sie zum Fundament. Es ist eine ausgefallene Herangehensweise, die Figuren zelebrieren ihre Sentimentalitäten und Verletzlichkeiten: ein Ausbruch aus dem Wagnerbrei, inspirierend und geistreich. Der Höhepunkt, Wolframs „Lied an den Abendstern" aus „Tannhäuser", ist umwerfend, die Phrasierungsbögen ragen tief in den Orchestersatz, erzeugen drängelnde Spannung, und die Aussprache Nikitins wird selbst Musik. Die perfekte Wagnervisitenkarte!