Von Alexander Gurdon, 22.11.2021

Quersänger

Coronaleugner:innen und Impfgegner:innen sind an sich kein neues Phänomen - es gab sie schon immer, real und fiktiv. Wir haben uns gefragt: Welche Opernfiguren würden heute wohl ganz vorne bei den Anti-Corona- und Impf-Verschwörungs-Demonstrationen mitlaufen? Ein humorvoller (gruseliger) Ritt durch die Musiktheatergeschichte.

Seien wir mal ehrlich: Seit Beginn der Pandemie fühlt sich das Leben da draußen zusehends wie ein Film an. Wahlweise könnte man auf die Jahre 2020 und 2021 Regisseure wie die Coen-Brüder, Wes Anderson oder den dystopischen David Lynch draufschreiben. Das Drehbuch passt zu Stephen King, Monty Python oder auch Erich von Däniken, je nachdem wen man fragt. Der pandemische Soundtrack jedoch lässt leider weiterhin zu wünschen übrig.
So wie die historischen Parallelen zur Spanischen Grippe, vor ziemlich genau hundert Jahren, erhellendes auf unser Pandemieverhalten abwerfen, kann auch ein Blick in die Musikgeschichte helfen, diese unwirschen Zeiten etwas mehr einzuordnen: Hier sind die TOP 10 der Coronaleugner:innen der Operngeschichte. Und so viel vorab: Vielen unserer Lieblingsfiguren aus dem Musiktheater wären wir im echten Leben am liebsten nie begegnet.

Platz 10: Lady Macbeth (Verdi)

Offensichtlich, und auch nicht ungefährlich. Inmitten ihres Machtrausches und der nächtlichen Wahnsinns-Arie hat die Lady Macbeth aus Verdis Oper keinen Sinn dafür, über Corona und die Impfung nachzudenken. Wahrscheinlich hat diesen Zweifel ihr auch ihr gleichnamiger Mann ins Ohr geflüstert, wie so manch andere ungute Idee.

Platz 9: Herzog Blaubart (Bartók)

Ein düsterer Adliger auf einem einsamen Schloss, mit einem Teich aus Tränen und drei eingesperrten Frauen im Keller. Bei Herzog Blaubart dürfen wir uns nichts vormachen, das einzige woran er glaubt, ist an sich selbst, die Aerosole in seinem Gemäuer kümmern ihn (zu) wenig.

Platz 8: Alle aus Parsifal (Wagner)

Diese krude Glaubensgemeinschaft aus Wagners Parsifal ist der Inbegriff der Wissenschaftsleugnung. Selbstverstümmelung, Zaubergärten, Erlösungsfantasien – wer vampiresk das Blut des Gesinnungsbruders Amfortas trinkt, will garantiert keinen Impfsaft. Nur bei Kundry wäre vielleicht Hoffnung, schließlich wandelt sie zwischen den Welten und braucht dafür ihren 3G-Ausweis.

Platz 7: Elektra (Richard Strauss)

Eine der stärksten und faszinierendsten Frauenfiguren der Oper, aber bei Corona zeigen sich die Parallelen zu jemand wie Nena. Schleichend wirkt das Gift des Zweifels in ihr, kein Wunder bei dieser Familiengeschichte, bis sie schlussendlich den ganzen Hof mit ihren Verschwörungsmythen verrückt macht.

Platz 6: Falstaff (Verdi)

Lebemänner I – Jemand wie der große Sir John Falstaff lässt sich doch nichts von so einem Virus sagen! Mit eloquenten Schimpftiraden zieht Falstaff auf die Querdenken-Demo und sammelt gleichzeitig veruntreute Spenden ein, um seine Gläubiger zu bezahlen.

Platz 5: Die Künstler aus La Bohème (Puccini)

Lebemänner II – Kommen ein Dichter, ein Maler, ein Musiker und ein Philosoph auf einen Dachboden. Was wie ein schlechter Dieter-Hallervorden-Sketch anfängt, entwickelt sich schnell zu einem Geschwurbel über die Freiheit der Kunst und Unterdrückung durch vermeintliche gesellschaftliche Zwänge. Dann lieber frei und tot. Schade nur, dass ausgerechnet die verletzliche Mimì an Covid-19 stirbt ...

Platz 4: Gertrud, die Mutter von Hänsel und Gretel (Humperdinck)

Das Märchen an sich ist ja schon grausam genug – oh nein, wir haben nichts mehr zu essen, komm wir setzen die Kinder im Wald aus! Zwei Tage später: Schau mal, da kommen die verratenen Kinder aus dem Wald zurück, juhu, wir wollten doch nur euer Bestes! Für Gertrud, die Mutter von Hänsel und Gretel, besteht wenig Hoffnung, dass sie sich aufgeklärt und schützend um ihre Kinder kümmert. Vielmehr steht sie morgens vor der kleinen Waldschule mit einem handgemalten Plakat und demonstriert gegen Maskenpflicht und Kinderimpfzwang. Immerhin klingt diese erbärmliche Doppelmoral schön, danke Humperdinck.

Platz 3: Alle aus Wozzek (Berg)

Tja, hier hat es wirklich jeden getroffen. In Alban Bergs Wozzeck sehen wir, wie sehr Corona ein gesellschaftliches, kapitalistisches Problem ist. Fake News und Desinformation grassieren, geschürt durch den Quacksalber-Arzt und den militärisch-grotesken Hauptmann. Wahrheit und Menschen fallen hier Corona gleichermaßen zum Opfer. Nur die spielenden, traurigen Kinder am Schluss sind schlauer als ihre Eltern, wie in der covid-freien Originalversion der Oper auch schon.

Platz 2: Siegfried (Wagner)

Der Prototyp des jungen, dummen, arroganten, unverwundbaren Helden, der strahlende Siegfried! Für ihn gelten keine Regeln, was er nicht sieht, glaubt er nicht. Da können ihn die geimpften Rheintöchter noch so sehr bequatschen. Hagen ist schlussendlich so genervt von ihm, dass er ihm eine gigantische Kanüle in den Rücken rammt – verständlich, aber nicht elegant.

Trommelwirbel.

Platz 1: Sarastro (Mozart)

Mächtig und mächtig gefährlich: Sarastro aus der "Zauberflöte" ist das Mastermind der mozartschen Impfverweigerung, der Götz Kubitschek der Opern-Querdenker:innen. Er hat sich sogar schon einen Tempel gebaut, wo nur Ungeimpfte Zugang haben – die berüchtigten Einlass-Prüfungen Sarastros sind legendär. Dazu hält er täglich zweistündige Monologe über die Weltverschwörung und Chemtrails. Hier hat die pandemische Dystopie schon längst begonnen.

Epilog

Genug der psychopathologischen Analysen. Höchste Zeit, endlich wieder mit Maske und Impfnachweis ins Opernhaus zu gehen, um all diese Biographien und Geschichten nachzuprüfen. Und mit ein bisschen Glück ist so ein Siegfried oder Falstaff dann auch nur auf der Bühne und nicht im Sessel nebenan.

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