Von Malte Hemmerich, 20.05.2016

Ein Tscheche in Texas

Auch in Texas wird gute Klassik aufgeführt. Dirigent Andrés Orozco-Estrada hat mit dem Houston Symphony Orchestra Dvořák aufgenommen und versteht die Musik ganz wunderbar. Da verzeiht man auch eine dröge Zugabe.

In dieser Musik liegt wunderbare Dramatik! Der Wirkung von Antonín Dvořáks Sinfonien kann man sich nur schwer entziehen. Zu genial, auch ein bisschen berechnend werden hier beschwingte Volksmelodien klassisch verarbeitet, gerückt und verdichtet. Warum also großen Klangschwulst auffahren, wenn sowieso schon viele kleine Dramatikmomente in der Komposition angelegt sind und ein perfektes Bild ergeben. Das scheint sich der Dirigent Andrés Orozco-Estrada vielleicht gedacht zu haben, als er sich daran machte, mit dem größten texanischen Sinfonieorchester Dvořák-Werke aufzunehmen.

Antonín Dvořáks Sechste ist, im ersten Satz, gut gelaunte Musik, und die Houstoner Musiker blasen nichts unnötig auf. Ein bisschen Beethoven-Feeling, über weite Strecken klassisch geformte fünfzehn Minuten. Den zweiten Satz nutzen sie, um ein wenig zu schwelgen, hier kommen die Bläser auf ihre Kosten. Doch dabei geht nie die trockene Realität verloren, welche die Aufnahme so auszeichnet. Einzig der Sound der Liveaufnahme ist teilweise nicht hart genug und klingt in den Streichern manchmal sogar dumpf.



Aber fort mit jeglicher Lethargie, denn der dritte Satz folgt: ein tschechischer Furiant in Amerika. Antonín Dvořák auf zweiter Reise in die „Neue Welt“ sozusagen. Da darf dann wild geblecht werden, immer vollmundig, nicht hohl-aufgesetzt. Der Finalsatz wird wild angegangen, nicht jedes musikalische Gefüge kann auf Weltklasse-Orchester-Niveau aufgedröselt werden. Doch gerade zur Coda hin reißt das Orchester mit seinen durchdachten Absichten in Form von pfiffigem Dynamik-Spiel 42 und frecher Verzögerung alles wieder raus. Es erklingt eine lebendige Sinfonie voller Formschönheit, ganz ohne übertriebenen Breitband-Sound.

  1. In dieser Schublade schlummert sehr viel: Die Lehre der Dynamik hat alles unter ihrer Kontrolle, was mit Lautstärke zu tun hat. Egal ob fließende Veränderungen, einheitliche Stufen oder abrupte Veränderungen der Lautstärke. Ein bisschen Italienisch schadet da nie, jedenfalls bei alter Musik. Viva il volume! (CW)



Zwei „Slawische Tänze“, quasi die Dvořák-Hits schlechthin, finden sich außerdem noch auf der Aufnahme. Zumindest der erste springt dem halbwegs erfahrenen Hörer nicht direkt als Evergreen ins Ohr, es ist ein Stück aus den erst nachkomponierten Tänzen. Während Orozco-Estrada und seine Musiker hier noch einige feinfühlige Raffinessen vorführen können, ist der zweite Tanz offenbar zu altbekannt. Da wird dann solide hindurch musiziert. Eine etwas sehr konventionelle Zugabe für eine schöne Dvořák-Platte, die leider mitunter verwaschenen Sound und somit einen leichten technischen Makel vorweist. Doch dahinter verbirgt sich eine sechste Dvořák-Sinfonie, die elegant und frisch aufgeschlossen wird. Das lohnt sich.


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Antonín Dvořák

Dvořák - Symphony No. 6, 2 Slavonic Dances

Houston Symphony, Andrés Orozco-Estrada

Pentatone

© Werner Kmetitsch


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