1. Vom Geburtstag feiern
Selbst wenn man vorbereitet war auf dieses unglaubliche, singuläre Ereignis der Klassikwelt, hat es Bonn und ganz Deutschland doch gewaltig erwischt und in den Beethoventaumel geschleudert. Na klar, es geht mal wieder um den 250. Geburtstag, um BTHVN, wie es so schön vokallos heißt. Da werden Sinfonien und Sonaten eingespielt, Bücher geschrieben, Schiffe gechartert, noch mehr Sinfonien eingespielt. Sogar den Dudelsack holt man zum Jubiläumsjahr heraus. Ein runder Geburtstag, das ist eben etwas Besonderes, wenngleich viele es wohl schon jetzt nicht mehr hören können. Aber es hat ja auch sein Gutes: Bis ins Fernsehen wird die Klassik durch Beethoven katapultiert, bei 3sat gibt es heute, am 1. Januar, einen ganzen Thementag. Beethoven nonstop. Für welchen Komponisten würde man schon so viel Sendeplatz freiräumen? Bleibt bei aller Liebe und Begeisterung für Beethoven zu wünschen, dass zukünftig auch die Komponisten ins Licht gerückt werden, die einen solchen Marketingschub viel nötiger hätten (also so ziemlich alle). Für 2020 gäbe es da noch das Geburtstagskind Gabriel Fauré (175). Und einige Todestage, etwa die von Max Bruch (100) oder Henri Vieuxtemps (200), könnte man ja auch begehen. Liebe Programmmacher und Programmmacherinnen beim Fernsehen, wie wäre es denn mit einem Thementag?
2. Vom weltumarmenden Eros
Die MeToo-Debatte, sie war auch in der Klassikwelt 2019 ein großes und wichtiges Thema. Um Stars wie Daniele Gatti und Plácido Domingo wurden Vorwürfe wegen sexuellen Missbrauchs laut. Regeln und Standards hätten sich geändert, sagte Domingo. „Wie bitte?!“, kommentierte Hannah Schmidt. Im Fall der Festschrift zum 65. Geburtstag des Pianisten und Musikwissenschaftlers Siegfried Mauser, der wegen sexueller Nötigung in drei Fällen verurteilt wurde, kann man bis heute nur den Kopf schütteln. Vom „weltumarmenden Eros“ liest man im Vorwort, und Festschrift-Herausgeber Dieter Borchmeyer rechtfertigte sich damit, dass ein Gerichtsurteil kein Gottesurteil sei. Beschönigungen und blinde Verehrung? Nun ja, die MeToo-Debatte und die Klassik, das muss offensichtlich weitergehen.
3. Von den Sanierungen
Ein wenig merkwürdig ist es schon. Frankfurt, Stuttgart, Mannheim, Karlsruhe – im Süden des Landes steht gleich vier Opernhäusern eine umfangreiche Sanierung bevor. In Stuttgart kocht das Thema besonders hoch, nach dem Bahnhofsdesaster nur allzu verständlich. Der Grund für die hitzige Debatte liegt – wie so oft – in den veranschlagten Kosten: 1 Milliarde Euro soll für die Sanierung des Hauses in die Hand genommen werden. Und wieder sind wir bei der Gretchenfrage der Kulturpolitik: Wie viel Geld ist uns die Kunst wert, und dann noch eine so besonders teure und unrentable wie die Oper? Ein kleiner Wunsch für 2020: eine vernünftige Debatte, bitte ohne Stammtischparolen.
4. Von der Elbphilharmonie
Wie viele Kindergärten man von diesem Geld hätte bauen können, das hat irgendwer bestimmt auch für die Elbphilharmonie errechnet, die nun ihren Image-Wandel vom millionenschweren Luxustempel zum Juwel und Wahrzeichen endgültig vollzogen hat. Von Publikumszuwachs und Rekordauslastung liest man da. In der Saison 2018/19 waren laut Angaben des Hauses dreimal so viele Besucher in Hamburgs Konzertsälen als vor der Eröffnung. Die Auslastung für die Konzerte im Großen Saal der Elbphilharmonie ist mit 98,9 Prozent besser als in den meisten Bundesligastadien. Vergisst man die zum Teil müßigen Diskussionen über Akustik und das Verhalten von Klassiktouristen für einen Moment, sendet das zum Jahreswechsel die versöhnliche Botschaft, dass es sich bei der Klassik offensichtlich doch nicht um eine vom Aussterben bedrohte Art handelt.
5. Vom Abschied nehmen
Nichtsdestoweniger war 2019 ein Jahr, in dem Klassikliebhaber von viel zu vielen großen Idolen Abschied nehmen mussten. Jessye Norman, Dina Ugorskaja, Michael Gielen, Hans Zender, André Previn, Mariss Jansons (unser Nachruf), zuletzt Peter Schreier. Behalten wir sie auch 2020 in guter Erinnerung.