Von Carsten Hinrichs, 19.12.2019

Knusprige Weihnachten!

Alle Jahre wieder – das gilt für die Weihnachtsbäckerei ebenso wie für manche musikalische Dauerprinten. Ob es da wohl einen Zusammenhang gibt, wenn man sich das eine mit dem anderen auf der Zunge zergehen lässt?

Der Spekulatius (Renaissance-Weihnacht)

So zinnsoldatisch gerade, schlicht und erdbraun, dass er auf dem Keksteller neben Pralinen und dekorierten Keksen oft den Kürzeren zieht – doch völlig zu Unrecht. Seine Motive aus aufgeprägten Linien offenbart der Spekulatius erst bei eingehender Betrachtung, wie auch seine inneren Werte: Er ist schnörkellos knusprig, fast zu direkt im Anbiss (da empfehlen wir die mit Mandelhobeln hinterlegte, etwas mildere Variante) und entfaltet seinen Geschmack erst nach einer Weile. Dann aber verbinden sich seine Gewürze mit einer verheißungsvollen, karamelligen Süße zum typischen Weihnachtsaroma. Die dafür zuständige Gewürzmischung aus Zimt, Kardamom und Nelken war noch bis nach dem Zweiten Weltkrieg schier unerschwinglich und machte Spekulatius zu einem Gebäck, das nur für eine kurze Zeit im Jahr Luxus verbreiten durfte. So archaisch wie sein Geschmack, so altertümlich sind auch sein Äußeres und der Name des nach dem Beschützer („Speculator“) St. Nikolaus benannten Kekses. Das erinnert an Weihnachtsfeiern der Renaissance, als der Advent noch eine Fastenzeit war und man sich vier Wochen lang in kalten Kirchen auf die vollen Tafeln zum Fest freute. Dafür verströmen auch die Weihnachtslieder und Motetten dieser Zeit eine wenig prahlerische, vielmehr von innen her leuchtende Festfreude, die erfüllt, ohne zu übersättigen. Für alle, denen an Weihnachten auch so schon dick genug aufgetragen wird.



Der Christstollen (Bach: Das Weihnachtsoratorium)

Wie für einen Klassiker üblich muss man auch den Christstollen nicht erst vorstellen. Für manche ist er der Höhepunkt der Weihnachtskaffeetafel, andere lehnen ihn kategorisch als stets enttäuschenden Hochstapler ab. Dabei gibt es so viele Fassungen und Varianten – Mandelstollen, Butterstollen, Champagnerstollen, Marzipanstollen – dass man mit Fug und Recht sagen kann: Nur bei besten Zutaten und mit Bedacht geknetet und gereift kann der Christstollen seine Möglichkeiten ausreizen. Das gilt auch für Bachs Weihnachtsoratorium, mit dessen Aufnahmen man das Weihnachtswohnzimmer pflastern könnte. Dabei spielt es fast keine Rolle, ob man als Purist zu historisch-informierten (marzipanlosen) Aufnahmen oder doch etwas üppigeren Varianten greift. Nur bei besten Sängern, einer gereiften Lesart (die über alle sechs Kantaten einen dramaturgischen Bogen zu spannen versteht) und einer nicht zu gehetzten, aber auch nicht weihevoll Fäden ziehenden Teigmischung präsentiert sich dieses weihnachtliche Dauergebäck nicht staubzuckertrocken und fad-mehlig, sondern mit saftigen Arien und Chorsätzen gespickt wie mit Rumrosinen und Orangeat-Splittern. Und nur das tut man sich dann auch alle Jahre wieder gerne an. Für alle Traditionalisten und heimlichen Knethaken empfohlen – anbei sogar eine Fassung mit Backanleitung.



Der Elisenlebkuchen (Weihnachtslieder der Romantik)

Ein Schichtgebäck der besonderen Art ist der Elisenlebkuchen: Von mittelalterlicher Herkunft sind seine feinen Gewürze und die schwere und daher umso weihnachtlichere Anreicherung mit Nüssen und fruchtigem Orangeat. Doch erst nach dem 16. Jahrhundert wurde es möglich, die edelsten Varianten nicht nur mit Zuckerguss, sondern umso üppiger mit Schokolade zu bestreichen. Eine Kalorienbombe mit dem Besten aus 600 Jahren Weihnachtskulinarik. Dem vergleichbar präsentieren sich die Chorsätze des 19. Jahrhunderts von Peter Cornelius oder Max Reger, die teils mittelalterlich-herbe Volksweisen, teils alte Lutherchoräle aufgreifen und mit der chromatischen Harmonik der Romantik übergießen. Und so, wie erst die Rückschau der Romantiker auf das Weihnachtsfest die Grundlagen für die biedermeierliche „Familienweihnacht“ legte, die heute noch Millionen Menschen auf der ganzen Welt am 23.12. in volkszählungsartigen Strömen, gepfercht in Autos, Züge und Flugzeuge, nach Hause treibt, ist auch diese sehnsuchtsvolle Lesart vergangener Musikfreude noch glanzvoller und wirkmächtiger. Eine Musik mit üppiger Mundfülle, verheißungsvollen Aromen und bittersüßer Schokoladigkeit, ein wahres Fest zum Fest.



Die Kokosmakrone (Christmas meets Cuba)

Wer genug hat von all der Butzenscheibigkeit und Betulichkeit, mit der Weihnachten seit fast 200 Jahren in Deutschland zelebriert wird, obwohl die Temperaturen meist über 15°C das Straßencafé nahelegen und nicht den winterlichen Stall, der kann das Fest nur auf Umwegen wieder genießen. Das kann zum Beispiel die Neudeutung des Weihnachtsgebäcks durch exotische Aromen und den Verzicht auf schwere Teige sein, wie bei der Kokosmakrone. Äußerlich wenig auftrumpfend, überrascht dieses Gebäck schon beim ersten Biss durch eine Umfärbung des gewohnt Nussigen ins Tropische. Dazu ein leichter Gebäckkörper auf Eiweißmeringue-Basis, der sich genauso geschmeidig in die Rhythmen der Neuen Welt einfügen kann, wie auf den europäischen Keksteller. Das erinnert an ein berühmtes jener zahlreichen Alben, die sich zur Aufgabe gemacht haben, das Weihnachtsrepertoire aufzulockern und durch ungewohnte Einfärbung wieder erträglich zu machen. Die Klazz Brothers begaben sich 2012 (und mit Vol. 2 auch 2017 noch einmal) nach Havanna: Mit Synkopen kräftig aufgeschlagen wird selbst „Kling Glöckchen“ zur schaumigen Freude, und die Maracas machen aus leise rieselndem Schnee und „O Du Fröhliche“ ein sonniges, palmenbeschattetes Vergnügen. Doch Vorsicht: zu viel davon führt schneller zu Übersättigung als die leichte Struktur vermuten ließe!



Der Weihnachts-Cookie (Classical American Christmas)

Die letzte Empfehlung gilt einem Gebäck von jenseits des Teichs, das es eigentlich das ganze Jahr über gibt, und das erst durch die zarte Einbindung weihnachtlicher Aromen zum jahreszeitlichen Schmankerl wird: Der Weihnachts-Cookie. Die typisch dunkel-karamelligen Noten, sonst allzu hastig beim Kaffee zwischendurch weggemümmelt, bekommen durch Zimt und Kardamom plötzlich eine alt-weltliche Substanz, die innehalten und nachschmecken lässt. Die eingestreuten Blockschokoladestückchen verleihen Knackigkeit in einem Teig, der erst nach ein paar Tagen an der Luftfeuchtigkeit so richtig gut ist – dann nämlich, wenn er dem Biss zwar Widerstand entgegensetzt, aber eine gewisse Biegsamkeit und mürbe Nachgiebigkeit verliehen bekommen hat. Diese Flexibilität macht auch den Reiz aus im jazzigen Swing der American Christmas-Klassiker von Größen wie Nat King Cole, Ella Fitzgerald und Frank Sinatra. Stimmen wie Karamell und Melasse, dazu eine nicht unnachgiebige, biegsame Süße aus der Nähe zum Schlager, und warme Aromen von Kaminfeuer und Kuscheldecke. So schön, dass man sie selbst dann noch hören kann, wenn auch hierzulande Schnee liegt.



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