Von Sophie Emilie Beha, 31.10.2019

Genrespagat

Der Pianist Simon Trpčeski hat gerade erst seine neue CD mit Werken russischer Komponisten veröffentlicht, gleichzeitig setzt er sich für mazedonische Volksmusik ein. Wer ist dieser Mann?

Trotz Mittagszeit ist Cluj-Napoca eine rastlose Stadt, heiß, staubig, laut und voll. Simon Trpčeski schiebt sich durch die Menschenmassen und scheint erleichtert, als er das klimatisierte Restaurant betreten kann. Mit einem tiefen Seufzer lässt er sich auf einen Stuhl fallen, fährt sich durch das ausgedünnte Haar. Die letzten Tage hat er überdurchschnittlich wenig geschlafen, es gab viel zu tun: Neben den Proben hat er in den transsilvanischen Hügeln ein Promotion-Video gedreht, Fotoshootings gemacht und kommende Konzerte organisiert. „Harte Tage“, sagt er mit einem Lächeln. Das hält ihn aber nicht davon ab, begeistert zu erzählen. Dabei knetet er ab und zu seine Finger, die Hände sind groß und kräftig, die Fingernägel extrem gestutzt. Auf den ersten Blick wirkt es nicht so, als wären es dieselben Hände, die in rasendem Tempo vollkommen mühelos über die Tasten fliegen, als wären sie einzig für das Klavier geschaffen.

Simon Trpčeski kommt aus Mazedonien, dort ist er ein Superstar. Studiert hat er bei Boris Romanov, der aus Russland die dortige Klavierschule mitbrachte. „Er war ein Segen für Mazedonien und hat die musikalische Qualität im Land um einiges verbessert“. Der internationale Durchbruch gelang ihm 2001 in der Londoner Wigmore Hall. Seitdem tourt er durch die Welt, gibt jeden Monat etwa ein halbes Duzend Konzerte. Vergangene Woche wurde seine neue CD veröffentlicht, darauf widmet er sich der russischen Solistenliteratur und hat auch einige unbekannte Werke eingespielt. In Rumänien dagegen fährt er das volle Gegenprogramm: Ensemble statt Solist 181 , Volksmusik statt klassische Werke.

  1. Ob mit Geige, Klavier oder Cello. Das Solokonzert ist die beliebteste Konzertform überhaupt. Hier kann ein Virtuose zeigen, was er kann, mit oder gegen das Orchester spielen und sich selbst inszenieren. Nein, im Ernst: Mit all den schwierigen, pathetischen, klassischen oder bahnbrechenden Konzerten lässt es sich viel Spaß haben! (MH)

Seit er denken kann, ist Simon Trpčeski umgeben von Folklore. Sein Vater war Richter, die Mutter Apothekerin, er wächst größtenteils bei seiner Großmutter auf – gemeinsames Musizieren ist so normal wie Wäschewaschen. Vor zweieinhalb Jahren durchforstet Trpčeski die mazedonischen Archive auf der Suche nach Noten, Tonaufnahmen oder Choreografien. Die Zeit ist reif, er will ein Ensemble gründen, das die mazedonische Volksmusik weit über die Grenzen des Balkan hinaustragen tragen soll. „Das habe ich mir schon immer sehr gewünscht“. Er sammelt das Material und stößt auf den Komponisten Pande Shahov, der ihm die Lieder arrangiert 238 . Insgesamt sind sie jetzt zu fünft: Klavier, Klarinette, Violine, Violoncello, Schlagwerk. Sein Debüt gibt das Projekt „Makedonissimo“ im Mai 2017 in Ludwigsburg.

  1. Adaption, Arrangement, Bearbeitung: verschiedene Begriffe für ein ähnliches Phänomen des musikalischen Recyclings. Ein fremdes Werk wird bearbeitet, indem man die Besetzung anpasst, es in eine neue Form presst oder sonst wie verändert. Auch wenn Werktreue-Anhänger und Urheberschutz dabei gelegentlich aufschreien. (AV)



Nach einem schnellen Salat und zwei eiskalten O-Säften eilt Simon Trpčeski schon wieder zur Probe. Am Abend spielt „Makedonissimo“ im Rahmen eines Musikfestivals in Cluj das erste Mal in Rumänien, sogar der Botschafter aus Mazedonien kommt. Das Konzert ist nur einen Katzensprung entfernt. Auf dem Weg dorthin fällt auf, wie sehr Transsylvanien unter dem Einfluss von Österreich-Ungarn stand. Große, klassizistische Häuser, die mittlerweile einiges von ihrem Prunk eingebüßt haben, säumen die kopfsteingepflasterten Straßen. Die Akademie für Europa-Studien ist ein verwinkelter Gebäudekomplex mit engen, niedrigen Durchgängen, in einem der Innenhöfe spielen Kinder verstecken. Die Bühne im Festsaal ist ein Halbrund, eingerahmt von acht Säulen. Über einem riesigen Fresko aus der Klausenburger Moderne prangt in Versalien „Durch Kultur zur Freiheit“.

Makedonissimo: Simon Trpčeski, Aleksandar Krapovski, Hidan Mamudov, Alexander Somov und Vlatko Nushev

Soundcheck. Statt Nadelstreifenhemd trägt Simon Trpčeski jetzt ein T-Shirt mit selbstironischem Print „Some people never stop talking“. Er läuft immer wieder zwischen Flügel und Saalmitte hin und her und wirkt konzentrierter, ernster. „Schhhh“, das Pianissimo geht noch ein My leiser, das Violoncello minimal lauter, trotz kleinem Saal werden die Instrumente verstärkt. Immer wieder brechen die Musiker ab, diskutieren angeregt auf Mazedonisch, brechen in schallendes Gelächter aus. Noch ein schneller Kaffee, dann ist es soweit.

Die Augen blitzen sich an, die Oberkörper drehen sich einander zu. Diese Musik lebt von der Gemeinschaft.

Was die madezedonische Volksmusik von anderer Folklore des Balkans unterscheidet, ist vor allem ihre Struktur. Die ungeraden Rhythmen orientieren sich an der Sprache – auf Mazedonisch wird jede Silbe gleich lang ausgesprochen, egal wie lang das Wort ist. So entstehen Metren mit 17 oder 22 Achteln pro Takt 89 . Shahovs Arrangements weichen diese strikte Form etwas auf, Synkopen 183 verwischen die eigentliche Betonung, orientalisch angehauchte Melodik verströmt Melancholie. Ein Spiel mit Klangfarben, das das Ensemble mit unterschiedlichen Instrumenten akzentuiert. Simon Trpčeski tauscht zeitweise den Flügel gegen ein Akkordeon, und Klarinettist Hidan Mamudov spielt auch mal Saxofon und Kaval, eine Hirtenflöte. Viele der Tänze sind rhapsodisch 81 , mit jähen Stimmungswechseln, ihre Konstante ist die wiederkehrende Melodie, die sich wie ein Band um die einzelnen Stimmen windet und von jedem Instrument mit eigenen Ornamenten höchstvirtuos verziert wird. Was auffällt, ist die intensive Kommunikation der Musiker: Die Augen blitzen sich an, die Oberkörper drehen sich einander zu. Diese Musik lebt von der Gemeinschaft. Wie ein Sinnbild steht dafür das letzte Lied, eine wehmütige Weise, Simon Trpčeski erhebt sich noch während des Stücks von seinem Hocker, auf dem er gerade noch beschwingt herumgehüpft ist, und legt einen Arm um Mamudov, dreistimmiger Gesang beendet das Konzert.

  1. Wanderschuhe, ein Gedicht und Losträllern: Ursprünglich sangen Rhapsoden auf ihren Wanderungen Dichtungen. Heute haben wir es mit Instrumental- oder Vokalwerken zu tun, die an wenig formale Regeln gebunden sind. Der volkstümliche Charakter hält bis heute an, sie sind für Komponisten ein offensichtliches Spielfeld für das kompositorische Umherschweifen. (CW)

  2. Ordnung muss ja schließlich sein! Der kleinste Raum eines Musikstückes ist der Takt, er hat eine gewisse Anzahl von Schlägen und will komplett gefüllt sein, egal ob mit Noten oder mit Pausen. Und es gehört eine Portion Mathematik dazu, weil die Taktart als Bruch mit Zähler und Nenner vorgeschrieben wird. 3/4: mh da da, mh da da ... (CW)

  3. Was ist im Walzer undenkbar und macht andererseits die Dvořáksche Musik erst richtig interessant? Richtig, die Synkope. Wenn plötzlich ein Akzent nicht im normalen Takt, sondern gegen das gleichmäßige Metrum gesetzt wird, kann das Zuhörer und Musiker gleichermaßen aufrütteln. Ein einfaches, aber äußerst wirksames musikalisches Mittel. (MH)

Der Abend wird mit viel Wein begossen, ein örtlicher Kunstmäzen hat die Truppe in sein Anwesen eingeladen. Irgendwo steht ein Flügel, und Simon Trpčeski spielt, während die anderen singen und tanzen. Den nächsten Tag haben sie sich freigenommen, die Work-Life-Balance sei „eigentlich das Wichtigste“. Auch seine Kollegen sprechen über die besondere Gemeinschaft bei „Makedonissimo“. „Das hier ist ganz besonders intim“, sagt Klarinettist Mamudov. Ein anderer erzählt, wie sehr er diese blanke Lust am gemeinsamen Musizieren in seinem Orchester in Amsterdam vermisse. Die fünf Freunde kennen sich alle noch aus der Musikschule in Skopje, „wir sind eine Familie“. „Makedonissmo“ ist zwar Simon Trpčeskis Baby, aber ohne die anderen würde es nicht funktionieren. Trpčeski war der Initiator, er hat den Namen, die Kontakte, kümmert sich um die Termine. Anders als andere Volksmusikhommageprojekte von Künstlern wie Yo-Yo Ma, Avi Avital oder dem Danish String Quartet hat „Makedonissimo“ bis jetzt noch kein einziges Konzert in seinem Heimatland gegeben. Das bedauern die Musiker sehr, die kulturelle Landschaft würde eher vertrocknen als aufblühen. Als Erklärung werden vage Andeutungen gegeben, verknöcherte Strukturen, politische Schwierigkeiten. Dann sind eben Kroatien, Kanada und China die nächsten Anlaufstellen. Trpčeski möchte am liebsten, „dass die mazedonische Volksmusik genauso wichtig, beliebt und respektiert wird wie die Klassik“.

Hinter den Akkorden schimmert in „Tales From Russia" Folklore durch.

Seine nächsten Konzerte gibt er trotzdem wieder mit Sinfonieorchestern und den großen russischen Komponisten seiner CD. Auch hier offenbart sich die Nähe zur Volksmusik: Da wo „Makedonissimo" von der klassischen Ausbildung, der Technik und Virtuosität der Interpreten profitiert, schimmert in „Tales from Russia" hinter den Akkorden Folklore durch. Nicht nur tonal und rhythmisch klingt in den Stücken Volksmusik an, die „Märchen einer alten Großmutter" von Sergej Prokofjew erinnern an Trpčeskis Kindheit, der gerne den Erzählungen seiner Baba Bozhana lauschte und die Tondichtung „Johannisnacht auf dem kahlen Berge" von Modest Mussorgsky greift eine alte, russische Hexen-Sage auf. Wie mit Folklore möchte Simon Trpčeski in diesen Werken Geschichten erzählen, alte Geister heraufbeschwören und sein Publikum durch die fremdartigen Klänge zu neuem Hören inspirieren.


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Sergei Prokofjew, Modest Mussorgski, Nikolai Rimski-Korsakow

Tales From Russia

Simon Trpčeski

Onyx

Bilder Simon Trpčeski: © Benjamin Ealovega/KulturOp
Probenbild Makedonissimo: © Sophie Emilie Beha
Konzertbild Makedonissimo: © Alexandru und Cristina Radulescu/KulturOp


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