Die Palette wird zum Sofa, aus der Cola-Dose machen wir Ohrhänger, und der alte Toaster wird mit Basilikum bepflanzt: Upcycling ist im Trend! Und nicht nur Hipster und Blumenkinder freuen sich darüber – Stichwort Ressourcenschonung und Konsumkritik –, Altes in neuem Glanz erstrahlen zu lassen. Die kreative Befreiung der Dinge aus dem Zwang ihres ursprünglichen Zweckes macht dabei erst den richtigen Kick. Typisch Großstadtkinder? Denkste, genau betrachtet ist dieses Verfahren sogar ein alter Hut.
Den hatten in der Barockmusik Georg Friedrich Händel, Antonio Vivaldi und Johann Sebastian Bach auf – und sie alle haben Musik bei sich und anderen geklaut, umgetextet und upgecycled wie die Weltmeister. Zum Teil recht respektlos: In der Fürstenkantate „Lasst uns sorgen, lasst uns wachen“ BWV 213 wendet sich Herkules noch trotzig mit den Worten „Ich will dich nicht hören“ von der Wollust ab, doch schon ein Jahr später singt im Weihnachtsoratorium der Altus auf dieselbe Melodie gänzlich zugewandt „Bereite dich, Zion, mit zärtlichen Trieben“. Wie verträgt die Musik so eine sinnverkehrende Umtextierung? Tatsächlich hängt das vor allem vom Spiel der Musiker ab, wie sich in unserer Playlist zeigt.
Heute verstehen wir unter einer Parodie das Nachahmen mit dem Ziel, jemanden liebevoll oder bösartig durch den Kakao zu ziehen. In der Musikwissenschaft bezeichnet man damit jede Form von Entlehnung, Aneignung oder Wiederverwendung zuvor in anderem Kontext entstandener, eigener oder fremder Musik. So hat Bach nicht nur sein Brandenburgisches Konzert Nr. 3 zum Auftakt einer Kantate umgenäht, sondern auch Violinkonzerte von Antonio Vivaldi für seine Cembaloauftritte im Café Zimmermann verwurstet. Und Vivaldi hat das auch selbst getan. Da findet sich der berühmte „Frühlings“-Eröffnungssatz plötzlich als Chor in der Oper „Dorilla in tempe“ wieder.
Der unbestrittene Meister des Melodieklaus aber ist Georg Friedrich Händel: Fast sein gesamtes Komponistenleben über schöpfte er immer wieder aus Melodien und Einfällen, die er in seinen wilden Jahren zwischen 16 und 25 hatte. Die in Rom entstandene Kantate „Conservate, raddoppiate“ enthält ein italienisches Duett, aus dem er in hohem Alter noch sehr überzeugend eine Chorfuge für den „Messiah“ zauberte. Die siegesgewisse Bourrée aus der Wassermusik-Suite findet als Rausschmeißer vor der Pause im Oratorium „La resurrezione“ eine neue Bestimmung. Die berühmte langsame Arie „Lascia ch’io pianga“ aus seiner gefeierten Londoner Debüt-Oper „Rinaldo“ – wer hätte das gedacht? – war vorher mal eine instrumentale Sarabande in Händels erster Oper „Almira“ HWV 1, bevor sie als geistliche Arie „Lascia la spina“ in einem späten Oratorium erneut Wiederkehr, diesmal züchtig und geistlich textiert. Und besonders scheint sich Händel in eine trompetensatte Rachearie aus „Rodrigo“ HWV 5 verliebt zu haben: In Rom tischt er sie dem Kardinal in einer Jagdkantate auf, danach in seiner italienischen Serenata „Aci, Galatea e Polifemo“. In London kommt sie textgleich im „Rinaldo“ vor, und anschließend, neu gedichtet, nochmal in „Agrippina“. Bemerkenswert sind die kleinen, aber wichtigen Änderungen, mit denen Händel den musikalischen Kern der neuen Nutzung immer wieder anpasst.
Mag für die Musikforschung des 19. Jahrhunderts der Ideenklau des Barock ein Gräuel gewesen sein, der am Genie der verehrten Meister zweifeln ließ – im Zuge der Nachhaltigkeit können wir heute der barocken Melodie-Ökonomie noch sympathische Züge abgewinnen. Denn man schmeißt doch einfach nix weg, was noch gut ist, oder?
PS: Bonustrack schon entdeckt? Eine Anekdote besagt, das Stück habe dem GEMA-Erfinder Richard Strauss eine Urheberrechtsklage eingebracht, und zwar vom Verlag des dort ausgeschlachteten neapolitanischen Schlagers "Funiculì, funiculà". Wäre es nicht wahr, so zumindest doch gut erfunden...