Von Hannah Schmidt, 21.05.2019

Es leben die Alten!

Konzertveranstalter:innen wollen heutzutage oft vor allem eins: junges Publikum erreichen. Der „Silbersee“ ist verpönt. Dabei sind alte Menschen alles andere als schlechtes Publikum.

Vergangene Woche habe ich ein neues Wort gelernt: „Blumenkohlfeld“. Und ja, ich musste kurz lachen. Es ist eine Anspielung auf weiße, gelockte Kurzhaarfrisuren, von denen man manchmal ziemlich viele auf einmal von oben oder von hinten sehen kann, wenn man auf einem der hinteren Plätze im Konzert oder in der Oper sitzt. „Blumenkohlfeld“ oder „Silbersee“, es sind die Begriffe, mit denen sich jüngere oder mittelalte Menschen gerne darüber lustig machen, dass im klassischen Konzert manchmal hauptsächlich Rentner:innen sitzen, während woanders die Teenies zur Musik von Billie Eilish tanzen.

So viel Klassik und so viele Besucher wie nie

Man macht sich lustig, denn irgendetwas scheint offenbar nicht ganz so optimal daran zu sein, wenn viele Konzertbesucher:innen alt sind. Das Narrativ des „aussterbenden“ Publikums hat sich verselbstständigt. Das ist komisch, denn von Jahr zu Jahr gibt es mehr klassische Konzertveranstaltungen im Land und insgesamt auch immer mehr Besucher:innen. 2017 verkündete die Deutsche Orchestervereinigung (DOV), dass mit 18,2 Millionen Besuchen im Klassik-Segment sogar die Bundesliga geschlagen sei, zumindest hinsichtlich der physisch Anwesenden: Dort gingen „nur“ 13,2 Millionen Zuschauer:innen ins Stadion. Gleichzeitig gab es mit 15.078 Konzerten so viele Klassik-Veranstaltungen wie noch nie.

Von den Konzertbesucher:innen waren laut der Concerti-Klassikstudie von 2016 31,5 Prozent 60 Jahre alt und älter. Das ist nicht überraschend, denkt man sich, wenn man beachtet, dass 2017 der Anteil der Über-60-Jährigen an der Gesamtbevölkerung in Deutschland bei 27,8 Prozent lag.
Ganz Deutschland ist ein Blumenkohlfeld!
(Natürlich nur im Durchschnitt.)

Viel spannender ist aber der Mechanismus, der hinter den ganzen Slogans steht, „Klassik für junge Leute“, „Klassik-Partys“, „Musik für Freaks“ oder „KLASSIK IST COOL!“. Es wird versucht, an die Interessen und Vorlieben, an Gehaben und Sprache eines Prototyps vom „jungen Menschen“ anzudocken (was nicht schlecht ist!), nur häufig klingt es für mich in den anschließenden „Wieder mehr junge Besucher:innen“-Jubelarien der Konzerthäuser und Opern dann im Nachhinein so, als sei der Prototyp „alter Mensch“ als Besucher:in grundsätzlich weniger erwünscht als der Prototyp „junger Mensch“.

„Was haben wir denn? Das ist doch ein tolles Publikum!“

Ein Intendant hat letztens im Gespräch einen klugen Gedanken formuliert: „Die heute 60- bis 70-Jährigen sind weltoffene, fitte Menschen, die gehen Wandern, spielen Tennis, reisen um die Kontinente, probieren sich aus. Was haben wir denn? Das ist doch ein tolles Publikum!“ Und selbst diejenigen, habe ich gedacht, die vielleicht nicht mehr in der Lage sind, Tennis zu spielen oder wandern zu gehen, sind doch in den allermeisten Fällen interessiert und klug und vor allem erfahren, und sie scheuen sich nicht, krass zu reagieren.

Wenn beim Achtbrücken-Festival für Neue Musik alte Menschen bei einer Aperghis-Uraufführung schimpfend und Fäuste schüttelnd, Türen knallend den Saal verlassen, dann wünsche ich mir nicht, nur unter jungen experimentellen coolen Fashionhipsternerdleuten zu sitzen, die sich entweder langweilen, weil sie die neuen Ideen vermissen oder den Sinn nicht sehen, halt ganz nett aber eigentlich egal, oder die das Rhythmusgemetzel grandios abfeiern. Wie auch immer. Denn ich feiere es, wenn sich manche vor allem ältere Menschen über Musik wahrhaft empören können, während uns genau das abhandengekommen zu sein scheint (oder wir es vielleicht noch nicht gelernt haben?).

Eine meiner Grundschulfreundinnen war schon mit neun Jahren uralt (und wahrscheinlich ist sie es immer noch).

Davon aber mal abgesehen, wird klassische Musik ja nicht irgendwie dadurch geadelt, dass jüngere Menschen ins Konzert kommen – sondern wenn überhaupt dadurch, dass Menschen ins Konzert kommen. Wenn sich jemand für eine Musik interessiert, dann ist er oder sie die bestmögliche Zuhörer:in, und das Geburtsjahr könnte in diesem Kontext nicht gleichgültiger sein. Denn was ist denn „alt“ und was ist „jung“? Eine meiner Grundschulfreundinnen war schon mit neun Jahren uralt (und wahrscheinlich ist sie es immer noch). Also: Entspannen wir uns. Färben wir uns die Haare weiß und drehen sie zu kleinen Löckchen – und genießen es, ein stolzer Teil der Blumenkohlwiese zu sein. Und irgendwann, das sollte man nicht vergessen, sind wir nämlich, wenn wir Glück haben, auch mal 80.


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