Nicht jeder, der etwas sagt, hat auch etwas zu sagen. Leider. Diese Erfahrung machen wohl alle Journalisten irgendwann in ihrem Berufsleben: Wenn sie Interviews führen, ganz egal ob im Bereich Politik, Wirtschaft oder eben Kultur. Ganz zu schweigen vom typischen Sport-Interview, das man schon vorher genau so skripten könnte.
Doch in der Kunst und speziell in der Musik haben wir ein echtes Problem: Hier sind Worte angeblich unnötig. Denn Musik, die man erklären muss, ist doch eh schlecht, oder? Und ein Künstler drückt alles, was er sagen möchte, ja sowieso am Abend auf der Bühne aus. Warum also darüber sprechen.
Einige große Musiker, Martha Argerich, Kirill Petrenko und so weiter, erlauben es sich dann auch, fast vollständig auf Interviews zu verzichten. Medienpräsenz erreichen die Größen entweder auf anderem Wege, oder sie ist ihnen schlicht egal. Frank Peter Zimmermann zum Beispiel erzählte mir im Februar in einem seiner seltenen Interviews, wie er bewusst darauf verzichtet, eine Marke zu werden und auch darauf, immer erreichbar und verfügbar zu sein. Das Interview liegt noch immer auf Warteschleife: Herr Zimmermann ist konsequenterweise für eine Abnahme nicht zu erreichen.
Im schlimmsten Falle kann ein Künstlerinterview sehr oberflächlich werden, insbesondere, wenn mit dem Text Breitenwirkung erzielt werden soll. Dann wird daraus schonmal ein Porträt und alles so hingebogen, wie es passt. Mit den Saunagewohnheiten von Andreas Ottensamer können mehr Menschen etwas anfangen als mit seiner besonderen Art, die Klarinette zu blasen.
Doch auch das andere Extrem kommt vor. Während ein Politikjournalistenkollege Christian Lindner fragen kann, wie er vorhat, im kommenden Jahr mit der Migration umzugehen, und darauf eine geschliffene, allgemeinverständliche Antwort erhält, kann die Frage, wie Christian Gerhaher plant, die nächste „Winterreise“ zu gestalten, durchaus für Verwirrung sorgen. So etwas wird schnell ein Gespräch für Fachidioten.
Politiker werden gecoacht, komplexe Zusammenhänge sprachlich gut darzustellen, gekonnt Fragen zu ihren Gunsten zu drehen, Musiker in der Regel nicht. Politik ist aber auch etwas Handfestes, Verordnungen haben Einfluss auf jedes Leben, jeder hat mit Gesetzen zu tun. Musik ist sehr viel flüchtiger, der Beruf eine Berufung und zum großen Teil Kopfsache. Die einen Künstler flüchten sich deshalb in Fachtermini, die anderen in Floskelwolken. Anders als bei den gewieften Politikern fällt die Inhaltslosigkeit hier aber recht schnell auf. Klar, über Musik zu sprechen ist sauschwer. Und zumindest eine kleine Anleitung und Hilfestellung dazu sollte auch der kundige Interviewer geben, denn der ist schließlich der Wortkünstler. Im besten Falle.
Doch ebenso gefährlich ist es, wenn die Künstler, oder eher noch deren Management und PR-Berater, sich die Verbreitung gewisser Informationen und Schlagsätze vorgenommen haben. Dann öffnet sich der Gesprächspartner dem Interviewer nur zum Schein, gibt ein paar belanglose Dinge preis und färbt sie zu seinen Gunsten. Da einzuhaken und das Gespräch auf wirklichen Inhalt zu lenken, braucht eine gewisse Kaltschnäuzigkeit und Erfahrung.
Zum Kern, also der Wirkung von bestimmter Musik oder der Arbeitsweise eines Musikers, dringt man nur selten vor. Zu groß ist die Angst der Künstler, angreifbar zu sein oder auf bestimmte Aussagen festgenagelt zu werden. Zu groß die Angst der Journalisten, die im schlimmsten Fall zugleich auch noch sabbernde Fans mit Hundeblick sind, eine harmonische Gesprächssituation zu zerstören. Dann doch lieber ein bisschen harmloses Geplänkel. Selbst die Leser werden sich daran schon gewöhnt haben und können einige der beliebtesten Redewendungen in Interviews wohl schon im Schlaf nachsprechen. Leider.
Vielleicht wäre Schweigen dann doch Gold? Besser zumindest als allgegenwärtig und somit schon in nervender Frequenz medial präsent zu sein und sich dabei schlimmstenfalls etwas von seiner Künstleraura zu zerstören oder durch belangloses Geschwafel die eigene künstlerische Leistung zu schmälern. Aber wenn wir ehrlich sind, ist doch nur jedes dritte Interview wirklich notwendig und lesenswert.
Das ist keine Bankrott- oder Überflüssigkeitserklärung für Musikjournalismus oder Künstlerinterviews. Eher ein Appell, zumindest in den seltenen Momenten, in denen man noch öffentlich über Musik sprechen kann, im Interview zwischen zwei Fachleuten, lieber weniger, aber dafür mehr zu sagen.