Im Vatikan spielte sie ein Geburtstagsständchen für den Papst. Und auch sonst entspricht Geigerin Hilary Hahn dem Bild der gediegenen klassischen Künstlerin. In einem Video sieht man sie nun mit Hula Hoop-Reifen, dabei Mozart spielend oder Bach in doppelter Geschwindigkeit oder sich verrenkend wie die tanzende Geigerin Lindsey Sterling. „TwoSet Violin“, ein „klassisches Comedy-Duo“, hat sie zum „Ling Ling Workout“ geladen.
„TwoSet Violin“, das sind Eddy Chen und Brett Yang, zwei studierte Musiker aus Australien. Mit ihrem YouTube-Kanal erreichen sie regelmäßig 900.000 Abonnenten, im Februar 2019 schauten über 100 Millionen Menschen ihre Videos. Das Thema: Klassische Musik und das Musiker-Dasein. In Formaten wie „Roasted By Facts“ stellen sie den vermeintlich schnellsten Geiger der Welt bloß, es gibt Listen à la Buzzfeed wie „13 Arten von Musikschülern“ oder „21 Typen von Orchestermusikern“, vom Blatt Spiel-Wettbewerbe oder Pachelbel interpretiert mit Gummihühnchen. Die Videos kommen in Trash-Optik daher, mit harten Schnitten und Emoji-Einblendungen. Mit „Ling Ling“ haben sie einen fiktiven Charakter erfunden, der täglich 40 Stunden übt und den perfekten Geiger verkörpern soll – den Chuck Norris unter den Violinisten. Beim „Ling Ling Workout“ ist nun tatsächlich die weltberühmte Geigerin Hilary Hahn zu Gast.
„Klassische Musik durch Spaß, Humor und Einfachheit für die moderne Generation relevant machen“ ist das Motto von „TwoSet Violin“. Also schon wieder so welche, die Klassik als hip und cool verkaufen wollen und dabei völlig den Kern der Musik, den Inhalt verfehlen?
Nein! Zum Glück. Die Video- und Format-Verpackung mag massentauglich sein, für eine junge Zielgruppe aufbereitet, doch sie bestimmt nicht den Inhalt. Zwar stehen meistens die Schwierigkeiten des Handwerks, des Violinspiels, im Vordergrund, doch wahren „TwoSet Violin“ immer eine gesunde Portion Ehrfurcht vor dem Gegenstand Klassische Musik, von dem sie aus eigener Erfahrung wissen, wie komplex er ist. Da blitzen dann die Augen der beiden ungläubig, wenn Hilary Hahn einen Ausschnitt aus Mendelssohns Violinkonzert nur mit dem unteren Drittel des Bogens spielt. Oder Sibelius einen Halbton tiefer gestimmt. Und das trotz allem nahezu perfekt. Gemischt mit der ehrlichen Freude an der Sache, die Eddy und Brett ausstrahlen, eröffnen sie einen ganz neuen Zugang, der die Musik und das Musizieren ernst nimmt, aber trotzdem Klamauk zulässt. Und den ein oder anderen vielleicht in eine Musikschule und so zur Klassik lockt. Dafür spielt selbst Hilary Hahn Mozart mit Hula Hoop.