Pop-, Jazz- oder Rock-Fans basteln sich schon lange Playlists aus ihren Lieblingsstücken. Bei klassischer Musik aber führt ein solches Vorgehen meist zu Naserümpfen. Einzelne Sätze aus größeren Werken, aber auch schöne Einzelstücke, scheinbar willkürlich aneinandergereiht? Häppchen-Alarm!! Auf den ersten Blick bedient die neue CD „Portraits“ des französischen Quatuor Modigliani genau jenes Bedürfnis nach kurz getakteter Abwechslung, das unsere heutige Smartphone-Gesellschaft so stark zu prägen scheint.
Auf ihrem neuen Album laden die vier Franzosen zu einem „Spaziergang durch unterschiedliche Bilder, Atmosphären und Epochen“ ein, so der Violinist Loïc Rio im Booklet. Ein Streifzug durch ein klingendes Museum. Die Kunst-Metapher des Titels passt auch gut zum Namen des Quartetts, das sich nach dem Maler (und herausragenden Porträtisten) Amadeo Modigliani benannt hat. Das Ensemble lässt sich also durch die 13 Miniaturen porträtieren – als Allround-Interpreten für mehr oder weniger alles von der Wiener Klassik bis zur amerikanischen Unterhaltungsmusik.
Soweit das Konzept. Aber funktioniert das auch für den Hörer? Oder verschwimmt der Eindruck durch die doch etwas beliebig anmutende Zusammenstellung zu einem überfordernden Farbgemisch? Schließlich kann – um im Bild zu bleiben – nicht jede Michelangelo-Skulptur neben einem großflächigen Andy Warhol-Druck wirklich ihre Wirkung entfalten.
Stimmungsdramaturgie aus Einzelwerken
Um die 13 sehr unterschiedlichen Stücke in eine neue Gesamt-Dramaturgie einzubinden verfährt das Quatuor Modigliani auf dieser CD nach zwei Prinzipien: Zum einen werden, sandwichartig, berühmte Stücke wie Barbers Streicher-Adagio von unbekannteren Entdeckungen flankiert. Zum anderen verzichten die Musiker gezielt auf Ausschnitte aus den berühmten Quartetten etwa von Brahms oder Beethoven, kombinieren stattdessen Sätze aus eher unbekannten Quartetten (Korngold, Kreisler) und Einzelstücke zu größeren Zyklen, die sich an der Stimmungs-Struktur einer viersätzigen Sonate orientieren: Mendelssohns Capriccio etwa eröffnet als spritziger Kopfsatz (mit langsamer Einleitung) die CD, gefolgt von Rachmaninows Scherzo aus dem ersten Quartett als beschwingtem Mittelsatz, Puccinis etwas pathetische „Crisantemi“ bilden einen melancholischen Ruhepol, bevor Korngolds Intermezzo als Rausschmeißer des ersten Zyklus dient. Ähnlich geht es weiter mit der Abfolge Kreisler, Barber, Schubert und Borodin bzw. Schostakowitsch, Webern, Hofstetter und Mozart. Nur Leroy Andersons Pizzicato-Ohrwurm „Plink, Plank, Plunk!“ steht als eine etwas harmlose, aber charmante Zugabe am Ende für sich.
Dass das trotzdem zunächst mal wie aus einem Guss wirkt, dafür sorgt die gute Aufnahmetechnik: Der eher schlanke, sehr homogene Klang des Quatuor Modigliani, der durch ein oft etwas schnelles, dichtes Vibrato belebt wird, ist ohne halligen Überbau, aber auch nicht zu trocken eingefangen. Man fühlt sich wie in einem Salon mit den Musikern, bei einem Hauskonzert vielleicht. Zugleich hat die Aufnahmetechnik den Klang von jedem Störgeräusch befreit. Sehr edel, aber auch ein wenig steril.
Die Musiker haben sich in ihrem 15-jährigen Quartett-Dasein intensiv mit den unterschiedlichen Stilistiken befasst, die hier Seite an Seite stehen. Und das hört man: Sie singen Weberns langsamen Satz für Streichquartett mit spätromantischer Innigkeit, kosten die spannenden Harmonien in diesem frühen Stück des Komponisten genüsslich aus. Auch Barbers „Adagio“ ist so natürlich schön und empfindsam musiziert, dass man sich dem Charme dieser schon so oft gehörten Musik einmal mehr nicht erwehren kann.
Für die langsamen Stücke ist der wohlige Schönklang des Quatuor Modigliani die perfekte Farbe, ausdifferenziert bis in jede Nuance des Vibratos, jede gemeinsam geatmete Pause. Anderes dagegen bleibt hinter dieser Schönheit zu glatt: Schostakowitschs Polka versteckt ihre derben Seiten zu sehr, für Andersons „Plink, Plank, Plunk!“ hätte man sich beim Rutschen über die Saiten ein bisschen weniger spieltechnische Präzision und ein bisschen mehr Witz gewünscht.
Und manchmal kommt man dann doch als Hörer nicht wirklich hinterher im Spagat zwischen den Epochen, besonders abrupt etwa wirkt der Übergang von Webern zum Andante Cantabile von Hofstetter. Vielleicht ist diese CD aber auch gar nicht zum chronologischen Hören konzipiert, sondern um Lust zu machen auf die Welt des Streichquartetts; für Klassik-Einsteiger könnten diese Impressionen, die das Quartett hier aneinanderreiht, sicher als wirksames Lockmittel dienen, wenn sie zufällig auf Spotify darüber stolpern. Für viele, die das alles schon für sich entdeckt haben, bleibt vermutlich bei diesem Musik-Hopping das Verlangen nach mehr. Aber zum Geburtstag darf man sich als Quartett auch einfach mal selbst ein Geschenk machen.
© Marie Staggat