Von Ricarda Natalie Baldauf, 02.10.2018

Die Stimme des Widerstands

Zur Eröffnung seiner Saison erhebt das Ensemble Resonanz seine Stimme – und das nicht nur musikalisch. Über einen Abend im Bunker auf St. Pauli und das Eröffnungskonzert in der Hamburger Elbphilharmonie.

Einige Konzertbesucher rutschen unruhig auf ihren Sesseln hin und her. Das Rascheln von Programmheften, von Jacken und auffällig viele Hüstler mischen sich mit dem Klang von George Aperghis’ „Récitations“ – einem Stück für nur eine Stimme, das mehr aus Wortfetzen und dadaistischen Lauten als aus nachvollziehbaren Melodielinien besteht. Plötzlich durchschneidet ein demonstratives Klatschen die Musik. Ein paar andere Besucher stimmen ein, und selbst als der Klatschprotest wieder verebbt, wird der große Saal der Elbphilharmonie von Raunen und Gemurmel erfüllt.



Das Ensemble Resonanz spielt an diesem Abend das erste Konzert seiner neuen Saison, die unter dem Motto „stimme“ steht. Und das nicht nur im musikalischen, sondern auch im politischen und gesellschaftlichen Sinne. Mit dem Konzert „geburt“ und Werken von Aperghis, Strawinski und Mozart sinniert das Ensemble darüber, wie eine Stimme entsteht, wie man sie erheben kann und wie sich aus einer einzelnen Stimme eine Stimmung entwickelt.

„Die Stimme des Widerstands ist noch zu leise!“

Tobias Rempe (Geschäftsführer Ensemble Resonanz)

„Die Geburt der Stimme ist die Geburt des Widerstands. Und der ist noch zu leise!“ Bevor das Ensemble seine Saison mutig mit Aperghis’ Solostück eröffnet, tritt Geschäftsführer Tobias Rempe auf die Bühne, hinter sich die Musiker versammelt: „Dies ist ein Konzert, aber wir als Ensemble wollen unsere Stimme erheben.“ In seinem Statement verurteilt er Hass, Hetze und Fremdenfeindlichkeit und wirbt für Toleranz, Solidarität und Respekt. Umso paradoxer wirkt da der Klatsch-Boykott, der an Respektlosigkeit kaum zu überbieten ist.

„Die Beschäftigung mit Musik, das Hören von Musik, das Machen von Musik und das Nachdenken über Musik: All das kann dazu führen eine Haltung zu gewinnen, eine eigene Stimme zu formulieren“, so Rempe, „letzten Endes muss man sich aber auch hinstellen und sagen, was los ist.“ Man merkt schnell, dass dieses Ensemble mehr ist als eine Gruppe von Musikern. Es ist ein Konzept. Ein basisdemokratisch organisiertes zum einen, zum anderen eines, das die Klassische Musik, die „Musik der Hochkultur“ als lebendige Kunst begreifen will. „Unsere Programme sollen immer etwas mit der Lebenswelt unserer Hörer zu tun haben“, sagt der Geschäftsführer.

Mit sogenannten Ankerangeboten, wie der „hörstunde“, der „werkstatt“ oder der Gesprächsreihe „bunkersalon“, will das Ensemble Resonanzräume öffnen. All das findet statt im Bunker auf St. Pauli, dem „Wohnzimmer mitten im Kiez“, wie Hannah Schmidt den Konzert- und Kreativort in ihrem Bericht über das erste „resonanzraumfestival“ nannte. Am Abend vor dem Konzert in der Elbphilharmonie sind Svenja Flaßpöhler, Chefredakteurin des Philosophie-Magazins, und die Philosophin Alice Lagaay zum „bunkersalon“ geladen. Die eine sorgte für Aufsehen, als sie ihre Stimme kritisch gegen die „MeToo“-Debatte erhob, die andere ist Professorin für Ästhetik & Kulturphilosophie und Expertin in Sachen Stimme. Gemeinsam denken sie an diesem Abend live über Geburt, Stimme und Mündigkeit nach.

Aus einzelnen Lauten, Silben, Wortfetzen, der Bewegung des Mundes, der Zunge, der Vibration der Stimmbänder wird eine Stimme geboren, eine Aussage geformt.

Der Salon ist schwach beleuchtet, das Publikum hat sich, mit Bier oder Wein in der Hand, auf Sofas und Sessel gefläzt – eine heimelige Atmosphäre. Was sich da am nächsten Abend im glanzvoll-großformatigen Saal der Elbphilharmonie verlieren wird, sieht und spürt man hier ganz deutlich, als zu Anfang die Sopranistin Donatienne Michel-Dansac mit Aperghis’ erster „Récitation“ auf die Bunker-Bühne tritt: wie aus einzelnen Lauten, Silben, Wortfetzen, der Bewegung des Mundes, der Zunge, der Vibration der Stimmbänder eine Stimme geboren, eine Aussage geformt wird. Diese Musik besitzt eine unglaubliche Körperlichkeit. Für Alice Lagaay ein entscheidendes Merkmal der Stimme: Zu ihr gehören auch die Stille, das Zögern, Gestik und Mimik. Dafür braucht es aber ein physisches Gegenüber, das diese Zwischentöne der Stimme wahrnimmt. Ein Problem in Zeiten, in denen viele politische und gesellschaftliche Diskurse über die sozialen Medien ausgetragen werden und in denen der mit der lautesten Stimme alle anderen übertönt.

Zwar können die sozialen Medien auch eine Plattform für diejenigen sein, die Probleme haben, ihre eigene Stimme zu erheben, dort können sie sie finden und sich beteiligen. Andererseits lassen sie unsere Kommunikation immer unpersönlicher werden, wir begegnen uns nicht mehr als Individuen, sondern als Gruppe mit mehr oder weniger extremen Standpunkten. Ein Paradoxon: Wir geben unsere erlangte Mündigkeit im Sinne der Solidarität auf. Aus der Vereinigung einzelner Stimmen wird eine Stimmung, die sowohl Optimismus als auch Bedrohlichkeit ausstrahlen kann.

Der Reflektionsraum des „bunkersalons“ trifft am nächsten Abend in der Elbphilharmonie auf die Stimme der Musik. Von ersten Urlauten, ersten Regungen bei Aperghis geht es zu Igor Strawinskis „Apollon musagète“, einem Ballett in zwei Bildern für Streichorchester, das die Geburt von Apollon, dem Gott der Musen, nachzeichnet. Und das in für Strawinski ungewöhnlich manierlicher Weise, zumal sein krawalliges „Sacre du printemps“ einige Jahre zuvor noch die Musikwelt erschütterte. Unter der Leitung von Riccardo Minasi entsteht ein kraftvoller Klang, aus dem doch jede einzelne Dissonanz hervorblitzt. In einem Pas de deux umschmeichelt Apollon Terpsichore, die Muse des Tanzes – auf zart wiegende, romantisch anmutende Geigenmelodien folgt die Coda 229 , die sich zu einem wilden Tanz steigert, ohne jedoch ganz die Kontrolle zu verlieren.

  1. Die Coda kommt immer am Schluss und klammert sich wie ein Anhängsel an den Satz. Vor allem in der Sonatensatzform findet man sie als finalen Rausschmeißer: Entweder beendet sie das Stück mit einem rasanten Klangfeuerwerk oder sie versüßt den Abschied mit einem sanften „fade out“. (AV)

„Mozart saugte all die Musik um ihn herum auf und schuf so eine der großartigsten Sinfonien, die jemals geschrieben wurden.“

Riccardo Minasi (Dirigent)

Die extrem intellektuelle und akribisch durchstrukturiere Kompositionsweise Strawinskis unterscheidet sich wesentlich von der Herangehensweise Mozarts. In seiner „Jupiter“-Sinfonie baut er eine detailverliebte Welt auf. Eine, in der er unterschiedlichste Komponisten zu uns sprechen lässt. Es schuf damit „eine der großartigsten Sinfonien, die jemals geschrieben wurden“, so Dirigent Riccardo Minasi: „Während seiner Zeit in Napoli oder Wien saugte Mozart all die Musik um ihn herum auf und verarbeitete außerdem Einflüsse von Haydn oder den Bach’schen Kontrapunkt.“ Und all das entdeckt man an diesem Abend im durchsichtigen und ausdifferenzierten Spiel des Ensemble Resonanz. Nicht nur der Kontrast zwischen einer Dramatik à la „Don Giovanni“ und unglaublich zarten Klängen, die fast ins Unhörbare abdriften, ist bemerkenswert. Auch kann man die Zwischentöne hören, die in Mozarts Musik stets im Untergrund schwelen, aber oft viel zu schnell überhört werden.

So ist am Ende des Abends, aus ersten Urlauten und mit Hilfe der apollonischen Künste, eine Stimme geboren, die sich ständig selbst hinterfragt, im Diskurs mit anderen ihre Position überprüft und daraus etwas Neues schöpft. Als zum Schluss mit dem Ensemble auch noch einmal Sopranistin Donatienne Michel-Dansac auf die Bühne tritt, die sich durch den Klatschprotest nicht beirren ließ, wird sie mit überbordenem Applaus empfangen. Zumindest an diesem Abend war die Stimme des Widerstands lauter – gegen Respektlosigkeit und für Toleranz.

Die Saison 2018/19 des Ensemble Resonanz

Das nächste Konzert des Ensemble Resonanz „versagen“ findet am 7.11. im kleinen Saal der Elbphilharmonie statt. Bei der „Séance zwischen Nick Cave und Franz Schubert“ ist Schauspieler Charly Hübner zu Gast. Zu diesem Konzert gibt es außerdem wieder kostenlose Ankerangebote: eine öffentliche Probe bei der „werkstatt“ und eine Konzerteinführung bei der „hörstunde“.
Auch die vier weiteren Konzerte „protest“, „durst“, „bruch“ und „atem“ betrachten das Phänomen der Stimme. Weitere Informationen und Tickets gibt’s auf der Homepage des Ensembles und in einem Podcast zur Saison.

© Ricarda Baldauf
© Jann Wilken
© Jonathan Pengl


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