Die wichtigste Person im Leben eines jeden Menschen – na klar, seine Mutter! Das haben sich auch Greg Anderson und Elizabeth Joy Roe gedacht, als sie auf der Suche nach einem thematischen Aufhänger für ihr neues Album waren. Denn unter Mother – a musical tribute lässt sich musikalisch ziemlich viel fassen, wenn man’s bei der Auswahl nicht zu genau nimmt.
Dabei verfahren Anderson & Roe nach dem Motto: Was nicht passt, wird für Klavierduo passend gemacht. Von ihrer Hommage an Muttern ist ursprünglich nur ein Werk für zwei Klaviere komponiert, Rachmaninows frühe Suite 88 „Fantaisie tableaux“ op. 5. Der Rest sind findige Arrangements von Liedern und Songs aus Romantik, Rock und Pop, die sich die beiden selbst in die Finger geschrieben haben – das aber mit viel Gespür für das pianistische Potenzial, das in den Originalnummern steckt.
Wenn Komponisten Stücke wie Allemande, Courante und Gigue in einer Suite bündelten, dann waren diese barocken Tänze der alten Adelshöfe nicht mehr für das Tanzparkett bestimmt, sondern für den Konzertsaal. Aber auch die musikalischen Highlights aus Ballett und Oper finden in der kondensierten Form der Suite ihren Weg auf die Konzertpodien. (AV) ↩
Vorneweg ist zu sagen, dass die Bearbeitungen sich nie nur Note für Note an der Vorlage entlanghangeln, sondern durchaus Mut zu gestalterischer Freiheit beweisen. Hemmungslos stürzen sich die beiden in den Tastenrausch, wie in Queens bombastischer „Bohemian Rhapsody“, die zur großangelegten Virtuosen-Paraphrase à la Liszt wird.
Aber sie können auch anders: Dem Schubert-Hit „Ave Maria“ belassen sie seine anrührende Schlichtheit, zur Melodiestimme wogen hier die Begleitakkorde besänftigend auf und ab.
Betörend schön klingt auch das berühmteste aller Schlaflieder, Johannes Brahms‘ „Wiegenlied“, das zum Gute-Nacht-Repertoire jeder Mutter zählt. Zur allseits bekannten Melodie klimpert da eine Spieluhr in den höchsten Tönen.
Weniger überzeugt, was Anderson & Roe zu „Let It Be“ einfällt. Den Beatles-Hit nehmen sie als Steilvorlage für eine ausufernde, aber wenig ansprechende Jazz-Sause. Und mit dem Summchor aus Puccinis „Madama Butterfly“ als Schlussnummer des Albums gleiten sie dann doch gefährlich in Richtung Kitsch ab.
Überhaupt stellt sich der konzeptalbenerprobte Hörer zurecht die Frage, ob die einzelnen Tracks unter dem Titel Mother tatsächlich ein stimmiges Ganzes ergeben. Bei der Wahl von „Bohemian Rhapsody“ („Mama, just killed a man“) wirkt das schon recht gewollt, und wie gar Louis Armstrongs „What a Wonderful World“ dazu passen soll, wissen wohl nur Anderson & Roe allein. Immerhin bei der Einspielung von Rachmaninows Suite ist klar, dass sie damit dem Wunsch ihrer beiden Mütter entsprechen, denen die CD übrigens auch gewidmet ist.
Unter den vielen Crossover-Produktionen auf dem Klassikmarkt ragt Mother – a musical tribute trotz allem heraus. Das Markenzeichen der beiden Juilliard School-Absolventen ist dabei ihre Gabe für klanglich bezaubernde Arrangements, die auch bei vielgehörten Musikstücken wie dem „Wiegenlied“ oder Schuberts „Ave Maria“ einen unverbrauchten Charme versprühen. Das lässt leicht darüber hinweghören, dass die Werkauswahl keinem stringenten roten Faden folgt – und etliche, thematisch viel passendere Rocknummern (Queen: „Mother Love“, „Tie Your Mother Down“, „Liar“; Pink Floyd: „Mother“; Rolling Stones: „Mother’s Little Helper“) auf der Platte keinen Platz gefunden haben.