Die dünne Baumscheibe auf dem Plattenspieler dreht sich. Darüber bewegt sich ein Tonarm von außen nach innen, doch an ihm befindet sich keine Nadel, sondern ein kleiner Sensor. Er analysiert die Jahresringe auf Stärke, Dicke und Wachstumsrate. Diese Daten übersetzt Bartholomäus Traubeck in Klaviermusik. Anstatt die Werte in ein Tonsystem zu übertragen, werden sie von seinem selbstentwickelten Algorithmus ausgelesen. Er orientiert sich an der Textur des Holzes und ordnet entsprechend dem Stück eine Tonart zu. Die Fichte erklingt in a-Moll, die Esche in c-Moll.
Im Frühjahr dehnt sich ein Baum aus, die Wachstumsschicht, das Kambium, teilt sich und stößt so die neugewonnenen Zellen nach innen und außen ab – es entstehen Jahresringe. Doch so wie die Nadel den Rillen auf einer Vinylplatte folgt, kann das der Sensor nicht. Die Ringe sind zu unperfekt. Daher legt Traubeck den Zeitraum fest, in dem sich der Tonarm zur Mitte bewegt. Wie eine Kamera nimmt der Lichtsensor alles auf, was innerhalb seines Sichtfelds liegt, und lässt es den Algorithmus in Klänge übertragen.
Die Fichte wächst schnell und weist daher besonders dicke Jahresringe auf. Sie klingt minimalistisch, die Töne plumpsen plötzlich wie reife Früchte aus dem Baum. Dagegen birst das dichte Holz der Walnuss beinahe vor Komplexität und Rhythmus. Die Melodie bildet das Wachstum der Bäume ab. Bei Knoten, Rissen oder Flecken werden auf einen Schlag sehr viele Signale übermittelt, es ertönt ein knallender Akkord wie ein Faustschlag auf der Klaviatur.
Doch taugen Bäume überhaupt zu Komponisten? Besteht Musik jenseits der Menschen? Wer schon einmal dem Gesang einer Nachtigall gelauscht hat, der mag sich schwer vorstellen, dass dabei die gestalterische Absicht fehlt. Die meisten Lebewesen geben instinktive oder erlernte Laute wieder; die Menschen dagegen erschaffen bei ihrer Musik bewusst Klänge, die sie miteinander in Bezug setzen. Doch nutzen auch Tiere Laute nicht nur, um miteinander zu kommunizieren: Singvögel erfinden Melodien, und besonders die Nachtigall kombiniert ihre Strophenmodelle oft mit Improvisation. Musik ist kreativ — sie kann, aber muss nicht zweckgebunden oder reproduziert sein. In „Years“ zeigt Traubeck, dass Naturphänomene aufgrund ihrer eigenen Materialität zu einem ästhetischen Erlebnis werden können. Jahresringe, zunächst nur visuell wahrnehmbar, werden durch die digitale Technik zum hörbaren, umgekehrten Zeitraffer. Traubeck gelingt es, die Beschaffenheit der Natur selbst zum Subjekt seiner Musik zu machen. Die Baumscheibe wird zur Vinylplatte, und der Wald zum Plattenladen.