Von Konrad Bott, 08.03.2018

Zeigt Euch!

„Selbstdarstellung“ ist ein abschätziger Begriff. Aber warum eigentlich? Sich selbst darzustellen, ist im wahrsten Wortsinn eine Tugend. Ein Gespräch mit Patricia Kopatchinskaja, dem Homo Ludens der Klassikszene.

niusic: Das Album „Deux“, auf dem Du zusammen mit Polina Leschenko Bartók, Ravel und Poulenc eingespielt hast, feiert das gemeinsame Musizieren. Ist es einfacher, mit jemandem gemeinsam danach zu suchen, was hinter den gedruckten Noten verborgen liegt?

Patricia Kopatchinskaja: Ja, ist es! Vor allem mit Polina. Aber es ist auch ein bisschen gefährlich, das habe ich jetzt erst begriffen. Mit jemandem wie ihr und sicher auch mir zusammenzuspielen, bedeutet ein lautes und gleichzeitig nonverbales Miteinander. Dünnes Eis, auf dem man nicht weiß, was passieren wird.
(Denkt nach) Die Kommunikation hat dabei etwas beinahe Mystisches, wie in einem Märchen. Wir planen das Stück nicht durch, so kann man viel besser mit den geschriebenen Noten streiten. Und das muss man: Jedes Stück auseinanderziehen, Experimente wagen und herausfinden, ab wann es bricht. Alles andere ist Reproduktion und im Grunde überflüssig.

niusic: Deine Partnerin Polina Leschenko ist vielen tatsächlich nicht bekannt. Wie habt Ihr zusammengefunden?

Kopatchinskaja: Polina ist jemand, den ich nicht erklären kann. In Musikerkreisen kennt man sie einfach, und sie gilt als Zauberin. Sie hält nichts von Karriererummel und hat sich irgendwann dazu entschlossen, das zu tun, was ihr Spaß macht: Kammermusik. Ich kann mich wirklich sehr glücklich schätzen, dass eine Pianistin von diesem Kaliber mit mir spielt. Beim ersten gemeinsamen Musizieren konnte ich fast nicht spielen – ich habe ihr nur zugehört. Und mittlerweile ist es ein Katz-und-Maus-Spiel mit wechselnden Rollen. Das hat nichts mehr mit Solist und Begleitung zu tun, manchmal passieren Dinge, mit denen nicht einmal wir rechnen. Wir werfen uns sozusagen in das Geschehen, in den Moment.



niusic: Wenn Ihr die Kontrolle über ein Stück so sehr löst, wie vermeidet Ihr eine Eskalation?

Kopatchinskaja: Das ist eine Frage des Handwerks, denke ich. Ob man will oder nicht, man muss die technische Sicherheit besitzen, spielen zu können, das ist das Eine. Ich bin nicht religiös, aber ich glaube, das Andere ist etwas Göttliches, das Vertrauen darin, dass sich zusammenfügt, was sein soll.

niusic: Du sprichst vom Vertrauen in etwas Spirituelles. Bei mir kommt da die Frage auf, warum Du öffentlich keine Stücke von Johann Sebastian Bach spielst ...

Kopatchinskaja: (Atmet tief ein) Ich komme schlecht an Bach heran ... Da ist etwas, das mich nicht in die Musik hinein lässt, vielleicht ist auch mein Zugang nicht richtig ...

niusic: Liegt es daran, dass Du Deine Ideen und Fantasien zu dieser Musik nicht mitteilen möchtest?

Kopatchinskaja: Es ist, als ob ich mich nicht trauen würde. Vielleicht tue ich dieser Musik auch nicht gut. Vielleicht bin ich auch nicht gut genug.

„Am meisten gefährdet man das Stück aber, wenn man nichts mit ihm anzufangen weiß.“

Patricia Kopatchinskaja

niusic: Das sind bescheidene Worte für eine große Geigerin ...

Kopatchinskaja: Warum? Ich möchte mein Leben lang sozusagen ein „einfacher Student“ bleiben und Fehler machen dürfen. Ich will immer wieder Grenzen ausloten und Neues entdecken. Warum sollte ich mich selbst daran mit einem perfekten Image hindern? Das natürliche Verlangen eines Künstlers ist es, immer offen zu sein und neue Dinge zu lernen. Und das kann man nicht, wenn man nichts riskiert, immer gefallen möchte und Angst hat.

niusic: Macht Angst die Musik kaputt?

Kopatchinskaja: Nicht immer, sie kann auch förderlich sein. Ich habe sehr große Bühnenangst. Und ich glaube, das bringt einen Musiker in einen Zustand, den er unmöglich simulieren kann. Angst ist ein sehr wahrhaftiger Zustand, und man muss lernen, ihn zu nutzen, um die Sinne zu schärfen. Ich glaube noch nicht einmal, dass man diese Angst immer unter Kontrolle halten muss. Sie ist da und kann im Stück aufgehen. Jeder Mensch merkt sofort, wenn derjenige, der vor ihm steht, etwas verbirgt.

niusic: Was ist der häufigste Vorwurf, der Dir von Mitmusikern gemacht wird?

Kopatchinskaja: Dass ich Dinge erfinde, die nicht existieren. Ich sage dann: Und Ihr versteckt euch hinter den Noten!

niusic: Das hat in letzter Konsequenz dazu geführt, dass Du oft der Selbstdarstellung bezichtigt wirst. Wie zeigt man sich als Interpret, ohne das Stück zu gefährden?

Kopatchinskaja: Man gefährdet das Stück immer. Aber am meisten gefährdet man es, wenn man nichts damit anzufangen weiß. Es muss zuerst ein Selbst des Musikers geben, bevor es sich im Stück verlieren kann. Ohne die Persönlichkeit dieses Menschen, der keine Kopiermaschine ist, gibt es auch kein Stück(lacht).

niusic: Dabei ist es aber wichtig, dass die Persönlichkeit wirklich und wahrhaftig in dem Musiker steckt und keine separate, künstliche Bühnenpersönlichkeit ist, oder?

Kopatchinskaja: Eine Lüge wird immer spürbar. Wir entscheiden auf einer animalischen Ebene, ob wir dem trauen, was wir sehen und hören, oder nicht. Das dauert vielleicht drei Sekunden, dieser Instinkt ist immer noch stark in uns, auch wenn er durch die Zivilisation sicherlich geschwächt wurde. Trotzdem sind wir immer noch irgendwie Tiere und wir merken, wenn man uns anlügt. Andererseits kann, wenn eine Darbietung ehrlich ist, ein Wunder entstehen, dem man gebannt zuhören muss. Da gibt es kein entkommen.

„Wir sollten einfach ein paar neue Stücke mit auf die Bühne nehmen!“

Patricia Kopatchinskaja

niusic: Gibt es eine Musik, die Dir Suspekt ist?

Kopatchinskaja: Mir ist die Romantik verdächtig. Ich möchte mich nicht so sehr in Wagner, Mendelssohn und Brahms vertiefen. Ich spiele es, aber irgendwie reut es mich gleichzeitig, dass ich die Zeit nicht dafür nutze, um zum Beispiel die Capricci von Sciarrino zu lernen oder ganz neue Werke. Es gibt so viele lebende Komponisten, die mit ihrer Partitur in der Hand herumstehen und Dich bitten, ihre Werke zu spielen, und wir behandeln sie immer noch wie Möbelstücke. Das ist nicht fair.

niusic: Auch Du musst Dich mit den Zwängen des Musikbetriebs auseinandersetzen. Ist es da schwer, sich für zeitgenössische Musik stark zu machen?

Kopatchinskaja: Die Zeiten haben sich geändert, das spüre ich überall. Die Leute sind neugieriger geworden, und es wird viel mehr Neue Musik gespielt. Trotzdem sollten wir als Interpreten und Konzertplaner noch mutiger, oder besser gesagt nachlässiger sein und nicht erst darauf warten, bis jemand wieder ein Meisterwerk schreibt, sondern einfach einmal ein paar neue Sachen mit auf die Bühne nehmen. Ein Stück beginnt sein Leben erst, wenn es auf der Bühne war. Und zwar nicht in den Händen eines Musikers, sondern viele verschiedene Aufführungen erlebt hat. Dann erst kann es sich in den Ohren der Zuhörer entwickeln. Oder man spielt es zweimal an einem Abend, einmal davon mit Einführung.

niusic: Sprichst Du selbst auf der Bühne über die Stücke, die Du spielst?

Kopatchinskaja: Ja, häufig! Das hat drei Vorteile: Erstens schafft es diese Wand zwischen den Zuhörern und den Musikern weg. Zweitens animiert es mich dazu, mich mit den Stücken so zu beschäftigen, dass ich es auch in Worte fassen kann. Und drittens spielt man anders. Sobald ein Wort gefallen ist, beginnt es ein Theater zu werden – im positiven Sinne. Wir vergessen auf der Bühne oft, dass man uns auch ansieht. Und durch den verbalen Kontakt wird mir meine physische Präsenz dort auf der Bühne klarer. Das Auratische, das man nicht fassen kann, kommt von innen, muss sich aber nach außen durchsetzen. Man darf nicht vergessen: Das Konzert ist auch ein Ort der Äußerlichkeit.


Responsive image

Maurice Ravel, Béla Bartók, Francis Poulenc u.a.

Deux

Patricia Kopatchinskaja, Polina Leschenko

Alpha



© Julia Wesely/Alpha
© Marco Borggreve/Alpha


    NIUSletter

    Bleibt auf dem Laufenden und erhaltet alle drei Wochen unseren NIUSletter.